Konzepte im Detail

Dieses Kapitel wurde ursprünglich als Reaktion auf die Kritik an diesem Kurs geschrieben. Wer nur Koreanisch lernen möchte, kann es getrost überspringen. Dass es so lang ausgefallen ist, liegt daran, dass ich hoffe, dass Sushi-Koreanisch auch Anregungen für andere Sprachkurse enthält und damit hilft, die Situation für Sprachschüler im Allgemeinen zu verbessern.

Ich werde in den folgenden Abschnitten immer wieder einige Behauptungen über das Sprachenlernen aufstellen. Diese Behauptungen sind gut belegt und entsprechen dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wer sich näher dafür interessiert, kann sich meinen Artikel Sprachenlernen anschauen.

Koreanisch-Lernende in Deutschland

Wer lernt Koreanisch?

  1. Menschen mit koreanischem Familienhintergrund. Zu dieser Gruppe zählen Halbkoreaner, aber auch gebürtige Koreaner, die in Deutschland in einer deutschen Familie aufgewachsen sind. In der Notzeit nach dem Koreakrieg waren viele Familien gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben.

  2. Personen mit koreanischen Freunden und Partnern.

  3. Hobbyisten mit einem Interesse an Korea: Schüler, Studenten, Rentner. Das Interesse wurde gerade in letzter Zeit häufig durch K-Pop oder koreanische Fernsehserien geweckt. Einige Jugendliche sind auch durch die grassierende Japan-Mode auf Korea aufmerksam geworden.

  4. Studenten, die ein Auslandssemester in Korea verbringen wollen. Diese Studenten besitzen eine gute Ausgangsbasis, weil sie direkt in Korea intensiv lernen können.

  5. Personen, die beruflich in Korea zu tun haben. Auch diese Gruppe hat normalerweise die Möglichkeit, direkt in Korea zu lernen. In internationalen Firmen ist meistens Englisch die Umgangssprache. Deshalb sind detaillierte Koreanischkenntnisse häufig nicht notwendig. Im Gegensatz zu der in Sushi-Koreanisch benutzten Umgangssprache benötigen Geschäftsleute oft die formelle Ausdrucksweise.

Die besondere Situation der Koreanisch-Lernenden

Im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachschülern, befindet sich der Koreanisch-Lernende typischerweise in einer ungewöhnlich schwierigen Situation:

  1. keine Vorkenntnisse

  2. keine koreanischen Ansprechpartner (und auch keine Koreaner in der Nähe des Wohnortes)

  3. kein Sprachkurs in der Nähe

  4. weder Zeit noch Geld für einen längeren Korea-Aufenthalt. Der Korea-Urlaub ist manchmal schon der große Traum.

  5. keine Zeit: Lernen für Schule, Beruf und Studium verhindern regelmäßige Beschäftigung mit Koreanisch. Daneben gibt es auch noch familiäre Verpflichtungen, denen sich die Meisten nicht entziehen können.

  6. Die Quelle für weiteres Lernen ist häufig das Internet:

    • Fernsehserien

    • K-Pop

    • Blogs

    • Manwhas

    • Diskussionsgruppen

    • Bekanntschaften

Der Koreanisch-Interessierte befindet sich also in der Situation eines Guerrilla-Learners, der mit bescheidenen Mitteln ein ansehnliches Ergebnis erzielen muss.

Realistische Lernziele

Sprachenlernen ist oft von überzogenen und unrealistischen Erwartungen geprägt. Gerade im Marketing wird gerne behauptet, es sei möglich, eine Sprache in wenigen Monaten zu erlernen. Da erscheint es geradezu selbstverständlich, dass der Anwender eines Sprachkurses nach kurzer Zeit ein hohes Niveau in Koreanisch erreicht. Doch wenn wir Schüler bei der Einschulung betrachten, stellen wir ernüchtert fest, dass sie nur einfache Formen ihrer Muttersprache beherrschen. Das ist das Ergebnis nach sechs Jahren Vollzeitlernen unter besten Bedingungen! Welches Ergebnis mag ein Sprachschüler nach einigen Monaten zustande bringen?

Die Erfahrung mit Immigranten in aller Welt hat gezeigt, dass es für einen Erwachsenen kaum möglich ist, das Niveau eines Muttersprachlers zu erreichen. Gute Karten haben diejenigen, deren Muttersprache eng mit der Fremdsprache verwandt ist. Sie besitzen bereits umfangreiches Vorwissen, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Koreanischlernende in Deutschland haben diesen Vorteil im Allgemeinen nicht. Sie müssen fast bei Null anfangen.

Eine einfache Abschätzung zeigt, dass jemand, der täglich eine Stunde Koreanisch lernt, in einem Jahr etwa genau so viel Zeit mit der Sprache verbringt, wie jemand, der einen Monat in Korea lebt und 12 Stunden täglich der Sprache ausgesetzt ist. Es kann daher kaum verwundern, dass jemand in Korea schneller vorankommt als jemand in Deutschland, selbst dann, wenn sein Sprachkurs um einen Faktor 10 weniger effizient ist. Wer nur in Deutschland lernt, hat praktisch keine Chance, ein hohes Niveau in Koreanisch zu erreichen.

Glücklicherweise ist das aber Vielen egal, denn sie streben überhaupt kein perfektes Hochkoreanisch an. Sie wollen sich nur auf Koreanisch unterhalten, und das ist eine ganz andere Sache. Die menschliche Geschichte hat gezeigt, dass an der Schnittstelle zwischen Kulturen immer Pidginsprachen entstehen. Pidginsprachen sind stark vereinfachte Sprachen mit einer Basisgrammatik und einem Vokabular von nur 750 bis 1.500 Wörtern. Das reicht für die tägliche Kommunikation völlig aus.

Die Ziele von Sushi-Koreanisch sind deshalb:

  1. Einem absoluten Anfänger einen Einstieg in die Sprache zu ermöglichen.

  2. Ein einfaches, aber korrektes Koreanisch zu vermitteln, mit dem simple Gespräche möglich sind.

  3. Der Sprachschatz soll sich flexibel in vielen Situation einsetzen lassen.

  4. Die Kenntnisse sollen ein gutes Fundament für späteres Weiterlernen sein. Das bedeutet auch, dass der verwendete Wortschatz in der Alltagssprache häufig vorkommen muss.

Sushi-Koreanisch versteht sich hier ganz klar in der Tradition von Basic English und wurde auch von Toki Pona inspiriert.

Sprachstil

Anforderungen

Der Sprachstil eines Kurses ist mit einer Reihe von Erwartungen verknüpft, die sich zum Teil widersprechen:

  1. leicht zu erlernen

  2. Fundament für weiteres Lernen

  3. möglichst sauberes Hochkoreanisch/Schriftkoreanisch

  4. authentische Alltagssprache

  5. höflich

Höflichkeitsformen

Da Koreanisch verschiedene Höflichkeitsformen kennt, stellt sich die Frage, mit welcher ein Sprachkurs beginnen sollte. Selbstverständlich muss ein Fortgeschrittener alle Formen beherrschen. Für die alltägliche Kommunikation kommt der Ausländer aber mit einer Form aus. Es stehen zwei höfliche Formen zur Auswahl.

Formelle Sprache

Alle traditionellen Sprachkurse, die ich kenne, beginnen mit dieser Form. Wer sich die Eigenschaften betrachtet, versteht, warum manche Kritiker fordern, ein Kurs müsse mit dieser Form beginnen:

  1. Verwendung:

    • gegenüber Vorgesetzten, Älteren und anderen Respektspersonen

    • bei formellen Gegebenheiten und Geschäftsbeziehungen

    • Korrespondenz

  2. sauberes Hochkoreanisch

  3. klare Grammatikstrukturen

Für den Schüler in Deutschland besitzt dieser Form jedoch gravierende Nachteile:

  1. Die Sprache wird im Alltag kaum gesprochen. Wer privat nach Korea reist, kommt oft mit der enttäuschenden Erkenntnis zurück, dass er viel umsonst gelernt hat, weil dort niemand so spricht wie in seinem Koreanischkurs.

  2. Es gibt kaum eine Möglichkeit in Deutschland auf dieser Höflichkeitsform weiter aufzubauen. Das typischerweise verfügbare Sprachmaterial verwendet Alltagssprache.

Informelle Höflichkeit
  1. Verwendung:

    • Alltagssprache im Raum Seoul

    • von jungen Leuten bevorzugt

    • massiv in Fernsehserien (Seifenopern) anzutreffen

  2. trotzdem höflich

  3. Koreaner nehmen es einem Anfänger normalerweise nicht übel, wenn er diese Form benutzt.

Doch auch hier gibt es wieder Nachteile:

  1. Im Alltag werden grammatikalische Formen meistens massiv verkürzt und dadurch schwer durchschaubar. Das Erlernen der Sprache wird erschwert.

  2. Die Alltagssprache variiert von Region zu Region und auch von Person zu Person (genau wie in Deutschland). Für einen Anfänger stellen solche Variationen ein nicht zu unterschätzendes Hindernis dar.

Einfachheit

Menschliches Lernen beginnt immer mit dem Einfachen. Erst darauf aufbauend kann Komplexes erlernt werden. Das ist mit Sprachen nicht anders als in der Mathematik, der Musik oder dem Sport.

Jeder möge sich ins Gedächtnis rufen, mit welch einfachen Sätzen ein Kind beginnt und wie viele Jahre es benötigt, um auf ein hohes Niveau zu gelangen. Das liegt nicht daran, dass Kinder dumm sind oder keine Sprachen lernen können. Es geht gar nicht anders. Das menschliche Gehirn lernt nur so. Zu Komplexes kann nicht verarbeitet werden und Sprachen sind komplex, sehr komplex sogar.

Für einen Anfängersprachkurs folgt daraus, dass die verwendete Sprache einfach sein muss. Nur so kann sie leicht erlernt werden. Die einfache Form ist das Fundament für die spätere komplexe Ausdrucksweise.

Authentizität

Es ist begreiflich, dass ein Sprachschüler sprechen möchte wie ein richtiger Koreaner, aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Auch viele Sprachlehrer empfehlen immer wieder authentisches Material. Dieser Empfehlung liegt meistens der verbreitete Glaube zugrunde, dass doch auch Kinder so lernen würden. Das ist eindeutig falsch! Auch Kinder beginnen mit einfacher Sprache. Kinder, die ausschließlich anhand der Erwachsenensprache lernen, bleiben in der Sprachentwicklung zurück.

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch anmerken, dass die meisten Sprachschüler keine Anfänger sind. Sie erlernen eine Sprache, die ihrer Muttersprache ähnlich ist, in Deutschland beispielsweise, Englisch, Spanisch oder Französisch. In diesen Fällen existiert ein umfangreiches Vorwissen hinsichtlich Hörverständnis, Grammatik und Vokabular (viele Lehnwörter). Selbstverständlich kann ein solcher Sprachkurs auf einem höheren Niveau beginnen.

Authentisches Material ist gut, aber erst ab einem bestimmten Niveau. Aber was ist eigentlich authentisches Material?

  1. Die Sprache variiert je nach Region, Bildungsstand, Alltags- oder Schriftsprache.

  2. Sprachempfinden ist auch individuell sehr unterschiedlich. Ein Student, der seine Diplomarbeit korrigieren lässt, stellt fest, dass seine Korrektoren verschiedene sprachliche Mängel ankreiden. Was für den einen gutes Deutsch ist, ist für den anderen schlechte Ausdrucksweise.

  3. Wenn ich den gleichen Text zwei Koreanern zum Korrekturlesen vorlege, bekomme ich zwei völlig unterschiedliche Fassungen.

  4. Wenn ich Ausdrucksweisen aus Fernsehserien übernehme, bekomme ich oft zu hören So etwas würde ein echter Koreaner nie sagen.

  5. Auch ein Deutscher neigt dazu, bei ausländischen Freunden Ausdrucksweisen wohlwollend zu korrigieren, die von deutschen Muttersprachlern permanent benutzt werden. Ich empfehle, einmal bewusst darauf zu achten.

Authentisches Material zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass es sehr komplex und vielfältig ist. Für Fortgeschrittene ist das eine sehr gute Übung, für Anfänger hingegen; hmm, wie drücke ich mich am besten aus? Zu komplex!

Sushi-Koreanisch-Lösung

Die vorangehenden Ausführungen machen deutlich, dass für Sushi-Koreanisch ein Kompromiss gefunden werden musste:

  1. Der Schwerpunkt von Sushi-Koreanisch liegt auf der informellen Höflichkeit. Das ist die Form, die dem Schüler am häufigsten begegnet. Mit diesem Ansatz stehe ich übrigens nicht alleine da. Auch der Sprachkurs der Sogang-Universität geht so vor.

  2. Die Ausdrucksweise wurde hinsichtlich Satzbau und Wortschatz einfach gehalten, damit sie leicht erlernbar ist.

  3. Es wird versucht, eine saubere Grammatik zu verwenden und die massiven Verkürzungen der Alltagssprache nur behutsam einzustreuen. Die saubere Grammatik ist notwendig, um später komplexere Sätze bilden zu können, aber der Sprachschüler wird außerhalb des Kurses vor allem mit der Alltagssprache konfrontiert.

Wortschatz

Auswahl der Vokabeln

Die Auswahl der Vokabeln erfolgte unter zwei Gesichtspunkten:

  1. Der Lernende soll möglichst schnell zu elementarer Kommunikation fähig sein. Das führt nicht nur zu schnellen Erfolgserlebnissen, sondern erlaubt es, Koreanisch in einfachen Dialogsituationen anzuwenden und ein erstes Sprachgefühl zu entwickeln.

  2. Die verwendeten Wörter müssen dem Schüler häufig wiederbegegnen, damit er sie nicht vergisst.

Bei Sushi-Koreanisch ging es mir in erste Linie darum, ein Vokabular zu finden, mit dem sich mit möglichst wenig möglichst viel ausdrücken lässt. Ich bin immer wieder Leuten begegnet, die behaupteten, mit einigen hundert Wörtern recht gut durch den Alltag gekommen zu sein. Auch wenn ich das bezweifele; die Erfahrung mit Pidgin-Sprachen bestätigt den Nutzen eines minimalistischen Ansatzes. Wie schon erwähnt, wurde Sushi-Koreanisch besonders von Basic English und Toki Pona inspiriert.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die verwendeten Wörter dem Sprachschüler häufig wiederbegegnen müssen. Sonst vergisst er sie, insbesondere bei Koreanisch. Der Wortschatz basiert deshalb auch auf umfangreichen statistischen Untersuchungen.

Das Vorgehen bei Sushi-Koreanisch unterscheidet sich deutlich von der traditionellen Methodik. Hier beginnt der Sprachkurs mit sogenannten Alltagslektionen. Bei genauem Hinsehen, stellt sich heraus, dass die Alltagslektionen gar nicht so alltäglich sind. Ich bin nicht jeden Tag beim Friseur, beim Arzt, beim Zoll oder auf dem Flughafen. Die Folge ist, dass ein Großteil des Vokabulars nur selten benutzt wird und der Schüler es wieder vergisst. Wer sich jedoch zuerst auf eine stabile Basis konzentriert, kann später viel einfacher weiterlernen.

Lernen in kleinen Portionen

Wer Sushi-Koreanisch überfliegt, dem fällt als erstes auf, dass die Lektionen sehr klein sind. Der Stoff wird in kleinen Portionen serviert. Eine Lektion enthält nur fünf neue Vokabeln. Das hat folgende Gründe:

  1. Lernen in kleinen Portionen ist effizienter als das Verdauen von dicken Brocken.

  2. Ein Guerrilla-Learner kann pro Tag nur wenig Zeit für das Koreanisch-Lernen aufbringen. Die Lektionen müssen deshalb sehr klein sein.

Wer pro Woche nur 25 Vokabeln lernt, kann nach einem Jahr bereits 1.300 und das ist mehr als die meisten Sprachlehrbücher enthalten. Leider ist Sushi-Koreanisch noch nicht vollständig.

Es ist übrigens nicht sinnvoll, viele Vokabeln auf einmal zu lernen. Die neuen schießen die bereits gelernten förmlich wieder aus dem Gedächtnis. Erstaunlicherweise setzen viele Sprachkurse immer noch auf dieses längst überholte Konzept.

Fazit

Die koreanische Sprache gleicht einem wunderschönen Kirschbaum in voller Blüte und so mancher Muttersprachler erwartet oder erhofft sich Ähnliches von einem Anfänger. Der Anwender von Sushi-Koreanisch bekommt jedoch nur einen kleinen unscheinbaren Setzling, der sich erst entwickeln muss.

Ich denke, man sollte Sushi-Koreanisch als das betrachten, was es ist: ein kleiner Anfang, aber hoffentlich ein Schritt in die richtige Richtung.