11 Relativität

Die Relativität ist eng mit der Assoziativität verknüpt und steht oft etwas im Schatten dieses großartigen Effekts. Zu Unrecht. Gerade die Relativität erklärt viele Begebenheiten, die mit den bisher besprochenen Theorien nur schwer oder gar nicht zu ergründen sind.

Doch was ist Relativität überhaupt? Nehmen wir ein Beispiel aus dem täglichen Leben. Nehmen wir an, Sie gehen in ein Geschäft, um sich ein Paar Schuhe zu kaufen. Sparsam wie Sie sind, nehmen Sie sich fest vor, nicht mehr als 100 DM auszugeben. Die Verkäuferin präsentiert Ihnen erst einige Modelle um die 200 DM. Überrascht von den hohen Preisen fragen Sie nach etwas Günstigerem. Schließlich verlassen Sie das Geschäft mit einem Paar zu 150 DM. Draußen registrieren Sie erstaunt, daß Sie 50 DM mehr ausgegeben haben, als Sie eigentlich wollten. Das Paar zu 150 DM erschien Ihnen im Vergleich zu den Schuhen für 200 DM relativ günstig. Sie trösten sich mit dem Gedanken, daß Schuhe für 100 DM deutliche Qualitätsmängel aufweisen würden. Merkwürdig, daß Sie nicht vorher darauf gekommen sind.

Auch das Sprichwort Je später der Abend, desto schöner die Gäste hat seinen Ursprung in der Relativität. Personen, die sich spät abends irgendwo aufhalten, sind, ich will es mal diplomatisch ausdrücken, normalerweise irgendwie auf der Suche. Zu dieser Zeit, wenn sich die interessanten Gäste bereits verabschiedet haben, fehlt den Übriggebliebenen jegliche Vergleichsmöglichkeit. Ihre Hoffnung auf einen erfolgreichen Abend und die später immer stärker zunehmende Verzweifelung läßt die späten Gäste in ihren Augen attraktiver erscheinen. Kluge Geschäftsleute nutzen diesen Effekt. In Kneipen, Cafés und Diskotheken wird das Licht absichtlich gedämpft, Lichtorgeln und Laserblitze erhalten den Gästen ihre Illusionen. Vor diesem psychologischen Hintergrund mutet es geradezu grotesk an, daß man in unserer Zeit der zunehmenden Vereinsamung immmer wieder auf Menschen trifft, die besonders stolz darauf sind, die ganze Nacht durchgemacht zu haben. Auch Sie täten gut daran, sich ihre Partner im ehrlichen Licht des Tages zu suchen.

Wenn wir unsere neuen Kenntnisse auf Namen übertragen, so wird klar, daß auch Namen im Vergleich relativ zu anderen Namen betrachtet werden müssen. Das führt zu einer Reihe von seltsamen Erscheinungen, die Unwissende gewöhnlich als puren Zufall abtun. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit zuerst auf die sogenannten Kettenreaktionen, wo sich die enge Verwandschaft von Assoziation und Relativität besonders deutlich zeigt. In fast allen Gebieten sind auf den ersten Blick merkwürdige Anhäufungen von Namen zu entdecken. Sehen wir uns die folgende Reihe von Wirtschaftsministern an:

Bangemann, Hausmann, Möllemann, Rexrodt

Es ist sofort klar, welcher Name nicht in die Serie paßt. Offenbar war kein weiterer Kandidat mit der Endsilbe Mann vorhanden.

Der Skandal um den Tod des Terroristen Grahms, der 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen unter zu diesem Zeitpunkt (August) noch nicht geklärten Umständen erschossen wurde, birgt auch viel Anschauungsmaterial für den Namensinteressierten. So wurde Innenminister Rudolf Seiters durch Manfred Kanther ersetzt (von der Kante zur Seite). Der Generalbundesanwalt von Stahl wurde entlassen. Der Favorit für seine Nachfolge hieß van Essen. Dieser lehnte den Posten jedoch ab. Die Aufklärung des Todes Grahms wurde immer wieder verschleiert und verdunkelt. Kurz bevor ich diese Zeilen schrieb, sendete das Fernsehmagazin Panorama einen Bericht, in dem ein Staatssekretär Schattenberg erwähnt wurde.

Ebenso war der zu VW übergewechselte Manager Lopez eines der Hauptthemen. In diesem Zusammenhang überraschte es mich nicht, daß der Betriebsratvorsitzende von Volkswagen Volkert hieß.

Auf der Nordseeinsel Föhr enden die Namen aller Ortschaften mit um. Oldsum, Utersum, Altersum, Niedlum, Ackerum, Wrixum, um nur einige zu nennen. 4

Ein Freund von mir kaufte sich kürzlich ein Haus. Sein Ansprechpartner war Herr Leuchter vom Bankhaus Lampe.

In einer großen deutschen Universität machte ich die Bekanntschaft einer besonders netten Regierungsangestellten namens Grütz. Eines Tages wurde das Büro neben ihr frei. Eine Frau Rietz bezog das Zimmer. Als ich in meiner Arbeitsgruppe diesen Sachverhalt zur Sprache brachte, zeigte sich einer der Mitarbeiter besonders interessiert. Er hieß Gölz.

Wenn Sie sich die Mühe machen, ein großes Verwaltungs– oder Firmengebäude mit offenen Augen zu durchstreifen, dann werden Sie immer wieder ähnliche Entdeckungen machen. Die Namen in den verschiedenen Abteilungen sind irgendwie verwandt.

Diese Verwandtschaft ist leicht zu erklären. Weil Menschen Namen immer relativ zu anderen Namen sehen, erzeugen Namen, die ähnlich klingen oder ähnliche Assoziationen hervorrufen wie bereits bekannte, ein Gefühl der Vertrautheit.

Pfiffige Autoverkäufer nutzen dieses Prinzip bei ihren Geschäften. Sie passen sich den Kunden in Mimik und Gestik an, zeigen Interesse für die gleichen Sportarten und haben zufällig denselben Urlaubsort besucht. Bei bestimmten Zielgruppen ist es ihnen sogar möglich ihre Kleidung und ihren Namen anzupassen. Diese Technik erzeugt bei den Kunden Vertrauen. Sie kaufen.

Das Prinzip der Ähnlichkeit führt dazu, daß Firmen ihre Mitarbeiter immer nach den gleichen Kriterien aussuchen. Folglich weisen die Angestellten ähnliche Persönlichkeitsmerkmale auf. Der japanische Wirtschaftsfachmann Hata Automata hat solche Firmen mit monodisperser Personalstruktur ausführlich untersucht. Die Ergebnisse sind schockierend. Prof. Automata wies darauf hin, daß diese Firmen einer Monokultur gleichen. Weil die Arbeiter keine Möglichkeit haben, sich auf ihnen fremde Charaktäre einzustellen und dieselben Denkschemata besitzen, kommt die Kreativität fast völlig zum Erliegen. Sie weisen eine allgemein geringe Toleranzbereitschaft und wenig Flexibilität auf. Ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Überwachungswahn verhindert eine entspannte Atmosphäre. Es kommt zur Katastrophe, wenn solche Angestellte in Führungspositionen aufrücken. Unfähig sich auf neue Situationen einzustellen, halten sie an veralteten Methoden und Rezepten fest. Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, ist kaum abzuschätzen.

Die westliche Industrie versucht zur Zeit verzweifelt, das Ausmaß der Schäden abzugrenzen. Dabei kommt es zu irrationalen Verhaltensweisen, die nur durch eine ausgeprägte Panikreaktion zu erklären sind. Führungskräfte besuchen dubiose Seminare, in denen ihre Persönlichkeit gestärkt werden soll. Selbstbewußsein, Führungsqualitäten, positive Lebenseinstellung, Charisma, Tatkraft, Flexibilität, Menschen– und Selbsterkenntnis, eben alles, was ihnen fehlt, wird versprochen. Ich selbst wurde Zeuge, wie eine Gruppe deutscher Manager wild hechelnd vor einem Feuer Bewegungen ausführte, die ich unschwer als den Ziegentanz aus dem amerikanischen Spielfilm Schlappe Bullen beißen nicht identifizieren konnte. Andere laufen barfuß über glühende Kohlen, murmeln stundenlang unsinnige Worte oder prügeln sich am Wochenende mit Stöcken. Als ich Prof. Automata nach dem Sinn solcher Seminare fragte, antwortete er vielsagend: „Der Wolf lockt die Schafe in seinen Wald, mit dem Versprechen, aus ihnen Wölfe zu machen.“

Einen Ausweg aus dem Dilemma schienen eine Zeitlang die berüchtigten Unfähigkeitsseminare der Agentur Radiant Research zu bieten. Basierend auf der Erkenntnis, daß man hauptsächlich aus Fehlern lernt, wurden die Manager mit ihrem vollkommenen Versagen konfrontiert. Die Seminarteilnehmer, die keine Möglichkeit hatten, die Schuld auf irgendwelche Untergebenen abzuwälzen, zeigten geteilte Reaktionen. Diejenigen, die den Mut aufbrachten, sich ihre bisherigen Fehler einzugestehen, entwickelten neue Stärken, die anderen hingegen reagierten mit Ignoranz oder flüchteten sich in weltfremde Phantasien. Radiant Research stellte daraufhin ihre Kurse ein. Die Firma versichert aber, daß sie derzeitig eine neue Methode entwickelt, die das gesamte Spektrum der menschlichen Persönlichkeit umfaßt und eine höhere Erfolgsquote verspricht.

Neben dem Gesetz der Ähnlichkeit spielt das Gesetz des Kontrastes eine große Rolle. Es könnt salopp so formuliert werden: Ein Name hat gute Chancen, wenn er sich positiv gegenüber anderen Namen abhebt. Dazu gleich einige Beispiele aus der Praxis:

Die Firma Escom unternahm im Juli 1993 eine interessante Werbeaktion, um ihren Namen positiv herauszustellen. Auf der ersten Seite eines Reklameprospektes waren zwei dubiose Geschäftsleute namens Willi Windig und Siggi Schrauber abgebildet. Der Text dazu lautete: „Würden Sie diesen Herren einen Computer abkaufen?“ Klar, das der Name Escom dazu relativ gut abschnitt und das Vertrauen der Kundschaft gewann.

Gunnar Gutbrot hatte seinen Beruf als Dachdecker sicher falsch gewählt. Trotzdem verstand er das einfache Prinzip der Relativität, daß er dazu nutzte seine eigene Position und seine Aufstiegschancen im Betrieb zu vergrößern. Gutbrot gelang es, bei der Einstellung neuer Lehrlinge den Chef so zu beeinflussen, daß immer nur Leute einen Job bekamen, die einen ungeeigneteren Namen als er selbst besaßen. Die kleine Dachdeckerei glich schon bald einem Kuriositätenkabinett: Blösau, Trinkflasch, Tiefenfall, Kleinstich und sogar Ziegelbruch waren typische Mitarbeiternamen.

Gutbrods Methode flog auf, als ein Kunde, der etwas von der Namenstheorie gehört hatte, den Firmenchef darauf ansprach. Gutbrot wurde zwar nicht entlassen, mußte sich aber schon bald damit abfinden, daß sein neuer Meister Faulschimmel hieß.

Das Kontrastprinzip ist tatsächlich so einfach, daß es von jedermann benutzt werden kann und auch benutzt wird. Im Gegensatz zu den obigen Fällen wird es von den meisten Menschen im Alltag nur selten entdeckt. Mir sind immer wieder Frauen aufgefallen, die einen wundervollen und ansprechenden Namen trugen. Ihre Freundinnen hingegen hatten Namen, die an Abschreckungskraft kaum zu überbieten waren. Diese Frauen wissen sehr genau, daß ihr eigener Name im Kontrast zu denen ihrer Freundinnen sehr gut darsteht. Ihre Freundinnen hingegen glauben an echte Freundschaft.

Das dritte wichtige Prinzip der Relativität ist das Gesetz von Aktion und Reaktion. Wir haben schon mit ihm Bekanntschaft gemacht, als Gunnar Gutbrot einen Meister namens Faulschimmel bekam. Das Gesetz von Aktion und Reaktion besagt, daß ein Name als Reaktion auf einen bestimmten anderen Namen eine Position erreicht. Das berühmteste Beispiel dieser Art war die Wahl Adenauers zum deutschen Bundeskanzler. Ich werde in einem späteren Kapitel zeigen, daß diese Wahl eine eindeutige Reaktion auf den Oberbefehlshaber der allierten Streitkräfte General Eisenhower war. Viele Konzerne nutzen die Technik von Aktion und Reaktion bei Geschäftsverhandlungen aus, indem sie sich vor den Gesprächen über die Namen der Konferenzteilnehmer kundig machen. Je nach Situation wählen sie dann ihre eigenen Wortführer so aus, daß deren Namen mit denen der Geschäftspartner harmonieren oder ihnen entgegenstehen. Die letzte Technik ist besonders bei Firmenübernahmen beliebt, um den Verlierer zu demütigen. So ist ein Fall bekanntgeworden, in dem ein Herr Scherenschleifer einen Betrieb übernahm, dessen Chef Buntpapier hieß. Besonders trickreiche Praktiker benutzen natürlich den Umständen angepaßte Pseudonyme.

Nicht immer muß die Reaktion auf einen Einzelnamen erfolgen. Oft ist sie die Konsequenz aus gesellschaftlichen Verhältnissen. Wir hatten schon gesehen, daß schwache Persönlichkeiten im allgemeinen zur Namensflucht neigen. Der Drang nach stärkerem Individualismus führt dann häufig zu einem starken Bedürfnis nach Exotik. Gewiefte Geschäftemacher sind leicht fähig, daraus Kapital zu schlagen.

Jan Dummer litt schon in seiner Kindheit darunter, daß die Menschen immer seinen Vor– und Nachnamen vertauschten. Er zeigte schon bald eine dem Erwartungsdruck entgegengesetzte Trotzreaktion. Überzeugt von der Macht des Wissens, las er viele Bücher aus allen Fachbereichen. Schon bald erkannte er, daß ein neuer Name seine gesellschaftliche Stellung entscheident verbessern könnte, doch er beschloß einen anderen Weg zu gehen. Jan wußte, daß ein Großteil der Menschen ihrer Situation zu entfliehen versuchen, indem sie sich vom Gewöhnlichen abheben, wo immer es geht. Er nutzte diese Tatsache aus und gründete seine eigene Firma Dummer Design. Dummer Design tat sich schon bald durch anscheinend dummes Design hervor. Zur Produktpalette gehörte unter anderem ein Geschirrservice mit unerträglich schreienden Farben und praktisch unbrauchbaren Formen. Es wurde ein überwältigender Erfolg.

Es kommt manchmal vor, daß Kinder aus gutem Hause eine Art Trotzreaktion gegen ihre sozialen Verhältnisse zeigen und ihren Namen ablehnen. Sie besitzen im heiratsfähigen Alter eine Vorliebe für einfache oder abstoßende Namen, die ihnen leicht zum Verhängnis werden kann, weil sie die sinnvolle progressive Heirat verhindert.

Isabelle Tiefenschall–Hohenknall kam aus einer wohlhabenden Familie. Schon in jungen Jahren warf sie ihren Eltern Spießigkeit vor und hatte den Drang, den gutbürgerlichen Verhältnissen zu entfliehen. Ihr Schicksal erfüllte sich, als sie in ihrem Elternhaus den zwielichtigen Typen Ede Burg kennenlernte, der gerade durch einen Einbruch sein Einkommen aufbesserte. Isabelle war fasziniert. Nach drei Monaten fand die Hochzeit statt. Der Fall konnte nicht weiterverfolgt werden, da der beobachtende Psychologe in den Verdacht der Hehlerei geriet.

Geschehnisse der obigen Art sind für in die Namensforschung Uneingeweihte nur schwer zu erfassen. Die Gesetze der Relativität zeigen dem Kundigen aber viele Wege auf, auch schlechte Namen in jeder Lebenssituation profitabel zu nutzen.

Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand;
denn jedermann ist überzeugt, daß er genug davon habe.
R. Descartes