12 Adel und Titel

Konsul, Doktor, Professor, Graf, Hoheit, Durchlaucht, Direktor, Spektabilität, Magnifizienz, Majestät, Senator, …Hat mal jemand ein Aspirin für mich?

Auf diese Art werden wohl viele von uns reagieren, wenn sie mit der fast unüberschaubaren Anzahl von Titeln konfrontiert werden, die sich Menschen im Laufe der Zeit erdacht haben, um sich vom gewöhnlichen Sterblichen abzuheben.

Ohne Zweifel, Titel sind begehrt. Sie versprechen Macht, Ansehen und Prestige. Adelsprößlinge, die mit ihrem Titel geboren werden, können sich glücklich schätzen. Ihnen bleibt die Mühsaal erspart, die andere aufwenden müssen, um in den Besitz einen Titels zu gelangen. Manche wählen die akademische Laufbahn, eine relativ sichere Methode, denn der Weg zum Doktortitel ist streng festgelegt. Einige aus dieser Gruppe gelangen später zur Professorwürde oder werden gar Dekan. Es ist dabei ziemlich egal, welcher Studiengang gewählt wird. Sicher sind einige Doktortitel schwerer zu erlangen als andere. Fächer wie Mathematik und Physik fordern strenges logischen Denken und großen Arbeitsaufwand. Oft vernachlässigen die Titelanwärter ihre Familie.

Aber es geht auch anders. Gewisse Geisteswissenschaftler können sich schon allein dadurch zu akademischer Würde erheben, indem sie andere zitieren und ihre wilden Gedankengänge mit möglichst unverständlichen Formulierungen tarnen. Kenner der Materie sind sich bewußt, daß jeder Zweig der Wissenschaften praktisch eine eigene Fachsprache besitzt. Eine vorzügliche Strategie, den Einblick in die eigene Arbeitsweise zu verschleiern, bei dem sicher viele Unzulänglichkeiten sichtbar würden. Insider wissen von einem interessanten Experiment zu berichten. Ein Amerikaner fütterte seinen Computer mit einigen Grundregeln der Sprache und des Satzaufbaus sowie einer Menge unverständlicher Fremdwörter. Der Rechner erstellte durch zufällige Aneinananderreihung ein scheinbar wissenschaftliches Dokument. Das Ergebnis wies eine frappierende Ähnlichkeit mit vielen üblichen Doktorarbeiten auf.

Neben der wissenschaftlichen Laufbahn, gibt es die Titelkäufe. Für den Wohlhabenden eine bequeme Sache. Kluge Titelverkäufer wie Hans Hermann Weyer füllen diese Marktnische, die von Eitelkeit und falschen Vorstellungen beherrscht wird.

Eine andere uns wohlbekannte Methode ist die Technik der progressiven Heirat. Die Hochzeit mit einem oder einer Adeligen ist die einfachste und wahrscheinlich auch die angenehmste Art, einen Titel zu erhalten. Häufig kann der diese Taktik ausführende schlaue Fuchs auch mit einem beträchtlichem Zuwachs seines Vermögens rechnen. Leider gibt es auch Nachteile. Die Anzahl der Adelsprößlinge ist knapp und die Bewerber sind zahlreich. Ein Grund dafür ist der große Bekanntheitsgrad der progressiven Adelsheirat. So veröffentlichte die Illustrierte Glücksrevue im Juli 1993 eine Liste von adeligen Frauen, die zu diesem Zeitpunkt noch zu haben waren, inclusive Fotos, Bildungs–, Charakter– und Vermögensbeurteilungen. Ich kann Ihnen einige dieser Namen nicht vorenthalten: Clothilde d’ Orléons, Bettina Bernadotte, Allessandra Borghese, Sarah Armstrong–Jones. Die Frauen sahen alle ihrem Namen entsprechend gut aus. Es gehört zu den großen Mysterien dieser Welt, warum die Zeitschrift nur Kandidatinnen abdruckte, obwohl ich glaube, daß sie weitgehend von Frauen gelesen wird.

Der edelste Weg, an einen Titel zu gelangen ist, wenn dieser ehrenhalber verliehen wird. Menschen, die einen Titel ehrenhalber tragen, haben nicht auf den Titel hin gearbeitet. Fernab von den sicheren Universitäten und dem Selbstbetrug des Titelkaufs konnten sie durch besondere Leistungen in Technik, Wirtschaft, Humanität oder anderen Gebieten auf sich aufmerksam machen und der Allgemeinheit echten Nutzen bringen. Es sollte eigentlich von jederman anerkannt sein, daß Titelträger ehrenhalber größere Leistungen vollbracht haben, als solche die ihren Titel auf anderen Wegen erstanden haben. In England ist die Erhebung in den Adelsstand nur größten Persönlichkeiten vorbehalten und von unvergleichbarem Prestige. Wie anders ist die Situation in Deutschland. Hier wird ein Titel ehrenhalber gesellschaftlich nur halb anerkannt. Sicher ist daran die Vielzahl der akademischen Neider nicht ganz unschuldig.

Einer der Träger eines Titel ehrenhalber war Dr. h. c. Ferdinand Ferri Porsche, der nach dem Krieg die Firma Porsche wieder aufbaute und zu neuer Größe führte. Nur wenige Akademiker werden von sich behaupten, ihre Leistungen könnten sich mit den seinen messen. Interessanterweise schien Ferdinand Porsche ein Kenner der Namenstheorie zu sein. Außer dem Doktortitel für das gesellschaftliche Ansehen, führte er einen Spitznamen, der ihn auch im zwischenmenschlichen Bereich nett und sympathisch machte 5. Später wurde sein Name jedoch so groß, daß er den Glanz des Titels überstrahlte und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden ließ. Heute wissen nur die wenigsten, daß Ferdinand Porsche einen Doktortitel trug.

Doch was ist wirklich dran am Titel? Welche Vor– und Nachteile bringt er? Unbestritten ist, daß der Titel auch heute noch als Teil des Namens angesehen wird. Als ich vor kurzem einen Antrag für das Finanzamt ausfüllen mußte, entdeckte ich auch ein Feld für den Titel. Werden Titelträger vom Finanzamt anders behandelt? Tatsächlich genießt ein Titelträger eine Reihe von Privilegien. Er kann sich des Respekts und der Achtung seiner Mitmenschen sicher sein. Wenig bekannt ist hingegen, daß ein Titel allgemeine Autorität verleiht, und zwar auch auf Gebieten, die dem Titelträger wenig bekannt sind. In Diskussionen gilt die alte Weisheit, daß der Titel der Ansicht seines Trägers mehr Gewicht verleiht, als das vernünftigste Argument.

Dr. Kaufmann besaß einen recht mäßig erworbenen Doktortitel in Soziologie. In seiner weitgehend unbekannt gebliebenen Arbeit untersuchte er die Arbeitsgewohnheiten von Bürokraten in Großverwaltungen und entwickelte eine Theorie darüber, warum die Anzahl der Beamten auch dann zunimmt, wenn die Menge der zu verwaltenden Dinge abnimmt.

Weil auf seinem Fachgebiet wenig zu verdienen war, beschloß Dr. Kaufmann seinen Titel auf andere Weise zu nutzen. Er wurde Analyseexperte. Wo immer die sogenannten unabhängigen Kommissionen zusammengestellt wurden, um ihre Urteile zu bestimmten Sachlagen abzugeben, erschien der Name von Dr. Kaufmann. Besonderen Erfolg konnte er in Fragen der Verkehrsplanung für sich verbuchen. Der Einfluß seinen Titels wog immmer schwerer, als die Argumente der Verkehrfachleute, die sich meistens über Jahre mit den Fragen auseinandergesetzt hatten. Der Auswirkungen seiner Arbeit sind noch heute in vielen Städten zu beobachten. Dr. Kaufmann setzte sich im Alter von 50 Jahren zur Ruhe. Seine Freizeit verbringt er auf einem Golfplatz, der sich wunderbar in das angrenzende Naturschutzgebiet einfügt.

Es darf auch nicht vergessen werden, daß Titel eine hervorragende Möglichkeit darstellen, den Weg in die Vorstände großer deutscher Unternehmen zu beschreiten. Sowohl das von, als auch der Doktortitel sind beliebt. Das ein von nichts über die Qualifikation aussagt, ist klar. Bei einem Doktortiteln gilt, wie im Fall von Dr. Kaufmann, daß es ziemlich egal ist, wie und auf welchem Gebiet er erworben wurde. So gibt es dann auch in den Vorständen Ingenieure, Philosophen und Juristen. Wirtschaftsexperten scheinen eher selten zu sein. Eine genaue Analyse wird durch die Tatsache erschwert, daß in den meisten Veröffentlichungen nur der Doktortitel, nicht aber das Fachgebiet erwähnt wird. Ist bei diesen Herren 6 eine gewisse Scheu vor der Wahrheit vorhanden?

Häufig besitzen Vorstandsmitglieder mehrere Doktortitel. Ich fühle mich dann immer an den Fall des Studenten Alois Hellbier erinnert, der lange Zeit in einer Wohngemeinschaft lebte. Damit er wußte, wann er Besuch bekam, stand auf seinem Klingelschild Dr Dr Dr Hellbier. Damit war gemeint: Alois Hellbier, bitte dreimal klingeln. Insider sprechen seitdem bei Doktortiteln oft von Klingelnamen. Mitarbeiter der Firma Radiant Research, die gute Kontakte zur akademischen Welt pflegen, erwähnen häufig die Zusammenarbeit mit den Klingglöckchen.

Außerdem stellt ein Titel durch seine distanzierende Wirkung einen psychologischen Schutz dar. Unter der Maske eines Titels lassen sich bequem die eigenen Namensprobleme verstecken.

Obwohl es eine Pflicht der Höflichkeit ist, einen Titelträger mit seinem Titel anzureden, muß es im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob dieses Verhalten sinnvoll ist. Aus historischer Sicht entstand diese Form der Anrede auf der Grundlage der Feudalherrschaft. Folglich war die Titelanrede nicht der Ausdruck des ehrlich gemeinten Respekts, sondern eine Zwangsmaßnahme der Feudalherren. Die Geschichte liefert also keinen Grund, diese Anredeform auch noch heute fortzusetzen. Adelige werden meisten mit ihrem Titel geboren. Dafür gebührt ihnen keinerlei Respekt. Nicht umsonst kennt der Volksmund den Spruch Ein freies und fröhliches Leben kennen nur Fürsten, Pfaffen und Piraten.

Menschen, die ihren Titel durch Arbeit erworben haben, teilen sich in drei Gruppen. Mitglieder der ersten Gruppe legen auf ihren Titel keinen besonderen Wert. Wenn sie einen solchen Titelträger kennen, werden sie von seinem Titel wahrscheinlich aus der sozialen Umgebung erfahren haben.

Die Angehörigen der zweiten Gruppe nutzen ihren Titel als psychologischen Schutz und sind im hohen Maße auf ihn angewiesen. Da der Titel in solchen Fällen die seelische Weiterentwicklung der Betreffenden behindert, sollte in der Anrede auf den Titel verzichtet werden.

Die dritte Gruppe nutzt den Titel aus rein praktischen Gründen. Dazu gehören viele Ärzte, bei denen der Titel z. B. im Telefonbuch steht, damit sie im Notfall von Patienten schneller gefunden werden. Der Doktortitel stärkt außerdem das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt. Es gibt auch Menschen, die den Titel nutzen, um damit an Vorteile finanzieller oder anderer Art zu kommen. Bei den Praktikern kann die Titelanrede also je nach Situation durchaus angebracht sein.

Rein verstandesmäßig ist zu sagen, daß es fast nie einen Grund gibt, die Titelanrede zu gebrauchen, außer sie gewährt Ihnen finanzielle, politische oder persönliche Vorteile. Menschen mit einem gesunden Selbstbewußtsein wissen sich auch ohne Titel zu schätzen. Falls Sie selbst zu den Titelträgern gehören, sollten Sie nicht auf die Vorteile verzichten, die Ihnen ein Titel bringt. Öffentliche Ablehnung Ihres Titels zeugt von Dummheit oder Idealismus. Vergessen Sie aber niemals, daß viele Menschen Großartiges vollbracht haben, ohne dafür mit einem Titel belohnt worden zu sein.

Bei Adeligen kann der Titel eine von vielen unerwünschte Wirkung besitzen. Sie stehen tagtäglich im Licht der Öffentlichkeit. Die Regenbogenpresse läßt keine Möglichkeit aus, die kleinsten Geschehnisse aus dem Privatleben großformatig zu präsentieren. Ein glückliches und sorgenfreies Leben ist unter diesen Umständen nur schwer zu führen. Manche selbstlosen Helfer versuchen hier Abhilfe zu schaffen, indem sie mit Fernsehserien wie Lindenstraße die Aufmerksamkeit des Publikums auf nicht wirklich existierende Personen lenken.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, daß ein Adels– oder sonstiger Titel die Chancen Heiratswilliger beträchtlich erhöhen kann. Titelträger sind als lebendes Prestigeobjekt heiß begehrt. Hier stellt sich mit Recht die Frage, ob es moralisch rechtmäßig sein kann, wenn z. B. ein junger Mann seiner Angebeteten einen Titel vortäuscht, um ihr Herz zu gewinnen. Ich meine Nein, denn dieses Vorgehen stellt eine ernste Gefahr für die Technik der progressiven Heirat dar. Womöglich würden beide in ihr Unglück laufen.

Andreas Möller fand eine ebenso elegante wie moralisch einwandfreie Alternative. Seine Angebetete Mara, die Gräfin von Kusenbaum, hielt sich ausschließlich in Adelskreisen auf. Um akzeptiert zu werden, stellte sich Andreas stets mit „Gestatten, Andreas Möller von Quakenbrück.“ vor, womit er in etwas schlampigem Deutsch ausdrücken wollte, daß seine Heimatstadt Quakenbrück sei. Die Rechnung ging auf und es kam zur Heirat. Die Ehe wurde jedoch nicht glücklich, weil Mara und Andreas die völlig verschiedenen Weltansichten aus ihren Schichten beibehielten. Die beiden trennten sich nach vier Jahren im gegenseitigen Einverständnis.

Titel gelten auch als eine Domäne von Heiratsschwindlern und Trickbetrügern, weil blaues Blut gut geeignet ist, daß Vertrauen von blauäugigen Bürgern zu erschleichen. Seien Sie vorsichtig! So mancher Gauner würde Ihre berechtigte Hoffnung auf eine progressive Heirat schamlos ausnutzen.

Ein titelähnliches Prestige kann mit der sorgfältigen Auswahl eines Namens erreicht werden. Lange klangvolle Namen können ebenso edel und anspruchsvoll wirken. So ein Fall konnte im Juli 93 im Werbefernsehen beobachtet werden, als Vanessa Meier–Blönkeberg das sahnige Geheimnis von Philadelphia entdeckte. Kenner werden vermuten, daß dieser Name durch progressive Heirat entstand.

Wenn man die Positionen der Klopapierhalter in deutschen Badezimmern betrachtet, kommt man unwillkürlich zu dem Schluß, daß sämtliche Installateure als Schlangenmenschen im Zirkus auftreten könnten.
G. Huber