14 Die Strømbøem–Studie

14.1 Überblick

Dieses Kapitel erfordert einiges Grundwissen über Kybernetik und ist etwas schwerer verständlich als der Rest des Buches. Wenn Sie nur an Namen interessiert sind, können Sie es getrost überblättern, ohne den Anschluß zu verlieren.

Sie sind inzwischen zu einem Kenner der Namenstheorie herangereift. Daher wissen Sie auch, daß viele Positionen in unserer Gesellschaft von Menschen besetzt sind, die ihre Stellung nur wegen ihres Namens einnehmen. Die logische Konsequenz ist, daß ein Großteil der Führungskräfte für ihre Aufgaben denkbar ungeeignet sein muß, weil ihre geistigen Fähigkeiten bei ihrer Karriere keine besondere Rolle gespielt haben. Hier sind berechtigte Zweifel angebracht. Kann eine Gesellschaft bestehen, wenn wichtige Entscheidungen das Ergebnis von Unfähigkeit und Unwissenheit sind? Die Antwort ist Ja. Diese erstaunliche Tatsache wurde das erste Mal 1967 von Prof. Smørebrøed Strømbøem vom schwedischen Institut Mimikri in seiner wenig bekannt gewordenen Studie über die Eigendynamik makroskopischer Systeme aufgeklärt. Seine brisanten Ergebnisse wurden von den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik aus verständlichen Gründen weitgehend totgeschwiegen. Auch seine wissenschaftlichen Kollegen reagierten ablehnend.

Prof. Strømbøem ist leider voriges Jahr verstorben. Seine Studie hingegen hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Aus diesem Anlaß möchte ich sein großes Werk noch einmal an die Öffentlichkeit bringen, damit ihm zumindest posthum die verdiente Ehre zuteil wird.

Prof. Strømbøem war aufgefallen, daß Politiker nur selten ihre Wahlversprechen einhalten. Ihre Entscheidungen schienen nicht auf Logik zu basieren. In der Wirtschaft war es ähnlich. Manager konnten ihre Firmen nicht koordinieren und glänzten durch geradezu dümmliche Aussagen wie „Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, müssen wir die Arbeit auf weniger Leute verteilen, die dann entsprechend mehr arbeiten müssen.“ Prof. Strømbøem erstellte daraufhin eine lange Liste von politischen und wirtschaftlichen Lügen und nachweisbaren Fehlentscheidungen. Die Liste wurde schon nach kurzem Recherchieren so lang, daß durch sie die Unfähigkeit vieler Führungspersonen bewiesen werden konnte. Persönliche Diffamierung lag Prof. Strømbøem jedoch fern. Er wollte die Ursachen ergründen. Also stellte er die Frage nach der Qualifikation. Es wurde damals allgemein angenommen, daß Personen für die von ihnen ausgeübte Arbeit besonders ausgebildet werden müssen. Der Umfang der Ausbildung wurde als proportional zu den Ansprüchen der Position angenommen. So mußte eine Verkäuferin gute Kenntnisse über die von ihr verkauften Waren verfügen. Außerdem war die Fähigkeit, gut mit Kunden umgehen zu können, unumgänglich. Ein Installateur mußte seine Installationen gut planen und fachgerecht einbauen, um eventuelle Verstopfungen und Kaltwasserduschen zu vermeiden. Mit seiner Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit gewann er das Vertrauen der Kunden.

Wie anders war die Situation in der Politik! Prof. Strømbøem machte die Entdeckung, daß die überaus wichtigen Minister oft gar nicht für ihr Fachgebiet ausgebildet waren. Sie wiesen zwar häufig hohe Qualifikationen auf, besaßen sie aber auf völlig anderen Fachgebieten. Ein Jurist konnte Verkehrsminister werden, ein Soziologe Wissenschaftsminister und ein Wirtschaftswissenschaftler Innenminister 8. Zum Erstaunen Prof. Strømbøems war es üblich, daß diese Minister den Fachbereich schon nach relativ kurzer Zeit wechselten. Sie schienen sich gegenseitig für unfähig zu halten. Prof. Strømbøem postulierte daraufhin, daß ein hinreichend großes System immer über einen beschränkten Zeitraum lebensfähig ist, auch dann, wenn seine wichtigen Entscheidungstäger falsch handeln oder gar völlig fehlen. Solche Systeme nannte Prof. Strømbøem makroskopisch.

Einen wichtigen Beweis für diese These lieferte die Geschichte. Es gab in der Vergangenheit immer wieder blühende Zivilisationen, die alle großen Entscheidungen durch Orakel fällen ließen. Obwohl die Ergebnisse auf reinem Zufall beruhten, standen diese Gesellschaften den überwiegend logisch orientierten Kulturen in Nichts nach 9. Prof. Strømbøem untersuchte daraufhin verschiedene makroskopische Systeme genauer und zwar sowohl gesellschaftliche wie auch biologische und technische. Die Ergebnisse wiesen allgemeine Gültigkeit auf.

Nach Prof. Strømbøem besitzt jedes makroskopische System eine Anzahl von Sachzwängen. Diese Sachzwänge bestimmen eine Vielzahl von Handlungen der Entscheidungsträger, egal wie streng die Hierarchie des Systems ist. Ein einfaches Beispiel ist die Steuerung eines sechsbeinigen Roboters, bei dem die Leistung seiner Energiegquelle nur dazu ausreicht, drei Beine gleichzeitig zu bewegen. Ein Behehl der Steuereinheit, einen Sprung mit allen sechs Beinen durchzuführen, ist daher sinnlos. Je komplexer ein System wird, desto größer und unübersichtlicher wird die Anzahl der Sachzwänge. Eine Steuereinheit mit einem begrenzten Fassungsvermögen wird deshalb notwendigerweise Fehler begehen. In einer menschlichen Zivilisation sind Entscheidungsträger, wie Politiker, Manager, Abteilungsleiter usw. , solche Steuereinheiten.

Prof. Strømbøem erkannte, daß die Anzahl von Fehlentscheidungen in einem System vermindert werden kann, wenn ein Teil der anstehenden Aufgaben an dezentrale Steuereinheiten abgegeben werden kann. Folgerichtig untersuchte er die Effizienz verschiedener Hierarchiestrukturen von der zentralen Verwaltung bis hin zur totalen Anarchie. Dabei stellte sich heraus, daß für unterschiedliche Anforderungen auch andere Hierarchien benötigt werden. Streng anarchistische Hierarchien, Prof. Strømbøem verwies auf Zellkulturen, erwiesen sich in den Simulationen als nahezu unverwundbar und extrem anpassungsfähig. Zielgerichtete Entscheidungen waren jedoch ausgeschlossen, die Handlungen einzelner Mitglieder hatten nahezu keinen Einfluß auf die gesamte Kultur. Streng zentralistische Hierarchien stellten enorme Anforderungen an die Steuereinheiten und waren sehr störanfällig. Die damals kommunistischen Länder des Ostens waren eines von Prof. Strømbøems Lieblingsbeispielen. Eine Mischhierarchie stellte häufig einen idealen Kompromiß für die vielfältigen Anforderungen dar. In den Simulationen einer solchen Hierarchie konnten viele Funktionen des Systems auch dann noch aufrechterhalten werden, wenn ein Teil der Steuereinheiten ausfiel oder unsinnige Befehle gab. Prof. Strømbøem verglich solche Hierarchien mit den westlichen Demokratien. Dabei entdeckte er einen merkwürdigen Effekt, den er gerne Die große Illusion der Entscheidungsträger nannte. Warum, fragte er sich, sind ein Großteil der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft überhaupt vorhanden, wenn ihre Entscheidungen sowieso überflüssig sind oder von Sachzwängen diktiert werden? Die Antwort war, daß diese Personen von der Allgemeinheit und von sich selbst für wichtig gehalten werden. Prof. Strømbøem stellte daraufhin die These auf, daß die Verantwortlichen nicht fähig sind, ihr Handeln als von Sachzwängen 10 diktiert zu erkennen. Prof. Strømbøem übertrug diese Ansicht auch auf den einzelnen Menschen. Der menschliche Körper, dozierte er, stellt vom Aufbau ebenfalls eine Mischhierarchie dar, in der ein großer Teil der Steuerungsbefehle unabhängig vom Bewußtsein gegeben werden (man denke nur an den Herzschlag oder die Atmung). In einem solch komplexen System würden notwendigerweise Sach– oder Scheinzwänge auftreten, die das rationale Bewußtsein umgehen. Das Bewußtsein glaube sich allerdings stets in der Lage, die Folgehandlungen zu kontrollieren. Prof. Strømbøem verwies auf die zahlreichen unsinnigen Handlungen der Menschen, wie Rauchen, Trinken, Kriegführung und andere. Er fragte sich, ob es sinnvoll wäre, Menschen, die solches tun, von wichtigen Positionen in der Gesellschaft auszuschließen, weil sie ja offenbar noch nicht einmal fähig sind, für ihre eigene Gesundheit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Einer seiner Lieblingssprüche war: „Würden Sie einer Person, die ihrer eigenen Gesundheit schadet, Entscheidungen anvertrauen, die Ihr persönliches Wohlbefinden betreffen?“

Die These der Illusion der Entscheidungsträger hat später eine unerwartete Bestätigung gefunden. Unter Hypnose wurden Versuchspersonen Befehle erteilt, die diese anschließend im Wachzustand ausführen mußten, z. B. sollten sie ein Fenster öffnen oder schließen, wenn der Experimentator an seiner Krawatte zupfte. Die Versuchspersonen gehorchten. Auf die Frage, warum sie so gehandelt hätten, antworteten sie, es sei ihnen zu heiß oder zu kalt gewesen, oder sie erfanden andere Gründe, um ihr Verhalten zu erklären. Sie waren aber unfähig, zu erkennen, daß sie hypnotisch manipuliert worden waren.

Als Leser dieses Buches können Sie die Illusion der Entscheidungsträger auch im alltäglichen Leben beobachten: bei der Berufswahl, bei der Partnerwahl, beim Einkaufen, usw. Die Manipulation durch Werbung ist schon seit langem wohl bekannt. Tatsächlich glauben die meisten Menschen, ihre Kaufentscheidungen würden nicht durch Reklame beeinflußt. Der große Erfolg der Werbung lehrt das Gegenteil. Prof. Strømbøem hat diese Tatsache nicht erkannt. Wahrscheinlich verbrachte er so viel Zeit im Institut, daß er nur wenig mit Menschen und Werbung in Berührung kam. Sein Spitzname Stromboli zeugt davon. Es bleibt aber sein Verdienst, daß er die Illusion der Entscheidungsträger aus den zugrundeliegenden kybernetischen Prinzipien herleitete.

Im letzten Teil seiner Arbeit beschäftigte sich Prof. Strømbøem mit der Optimierung von Hierarchien. Er berücksichtigte insbesondere das Zusammenwirken der Sachzwänge mit den Steuereinheiten und stellte dabei heraus, daß es sich bei den Sachzwängen in menschlichen Gemeinschaften häufig um Scheinzwänge handelt. Prof. Strømbøem erkannte, daß in großen Mischhierarchien nur dann Verhaltensänderungen auftreten können, wenn viele Entscheidungsträger ihr Handeln an gleichen Zielen orientieren. Folgerichtig plädierte er für Zusammenarbeit in wichtigen nationalen und internationalen Fragen.

Ein wichtiges Ergebnis Prof. Strømbøems beschäftigt sich mit der Verbesserung von Produktionsbedingungen. Er war der Meinung, daß dort die Hierarchien zu stark zentralisiert seien. Viele Entscheidungen würden von Managern getroffen, die keinen direkten Kontakt zur Produktionsebene hätten. Dieser Informationsmangel würde zu Fehlentscheidungen führen. Als Ausweg schlug er eine Verlagerung der Kompetenz in kleinere Arbeitsgruppen vor. Diese könnten flexibler reagieren und das Gesamtsystem wäre unempfindlicher gegen Fehler und Ausfälle. Dieses Konzept ist in neuerer Zeit auch deutschen Fachleuten unter dem Namen Lean Production ein Begriff. Diese kennen es aber in den seltensten Fällen aus der Studie Prof. Strømbøems. Die weitgehende Ignoranz, die seiner Theorie entgegengebracht wurde, führte dazu, daß diese Methode erst durch die Japaner weite Verbreitung fand.

Auch auf anderen Gebieten machte Prof. Strømbøem wichtige Vorschläge. So wollte er die Ausfallsicherheit von Rechenanlagen durch den Einsatz mehrerer sich gegenseitig überwachender Systeme erhöhen. Programme, so meinte er, könnten verbessert werden, wenn sie die Hierarchiestrukturen der realen Welt wiederspiegeln würden. Die sich immer stärker durchsetzende objektorientierte Programmierung verwirklicht diesen Ansatz.

14.2 Zusammenhang mit der Namenstheorie

Ich hätte mich gefreut, wenn Prof. Strømbøem seine Studie auch auf die Wirkung von Namen ausgedehnt hätte. Das ist leider nicht der Fall. Wahrscheinlich war ihm die Namenstheorie sogar völlig unbekannt. Trotzdem möchte ich versuchen, die Auswirkungen von Namen im Licht seiner Arbeit zu betrachten.

Namen zählen im Sinn von Prof. Strømbøem wohl zu den Scheinzwängen, das heißt, Handlungen die aufgrund von Namen begangen werden sind eigentlich nicht rational. Prof. Strømbøem sah in der Existenz von Scheinzwängen ein großes Hindernis für die Entwicklung einer Gesellschaft. Er hob oft hervor, daß die Abschaffung von Scheinzwängen der erste Schritt in die Zukunft sei. Die Namenseffekte müßten also entkräftet werden. Aber seien wir nicht zu voreilig. Dieses Vorgehen würde viele Namenstheoretiker und Berater arbeitslos werden lassen. Das ungeheure Kreativitätspotential vieler Werbeagenturen bliebe weitgehend ungenutzt, die progressive Heirat wäre wirkungslos und dieses Buch wäre vollkommen überflüssig. Die Welt wäre ein Stück langweiliger. Wir müssen uns also ernsthaft fragen, ob wir das wirklich wollen.

Trotzdem gibt es viele Bereiche, in denen Namen Unglück anrichten. Ein besonderes Beispiel ist die Arbeitswelt. Hier befinden sich viele Menschen wegen ihres Namens in den falschen Positionen. Manche sind für ihre Arbeit ungeignet, andere werden durch ihren Namen in ihrer Kreativität gehemmt. Hier sind die Entscheidungsträger gefragt, Abhilfe zu schaffen. Obwohl die Strømbøem–Studie auf den ersten Blick einen anderen Eindruck vermittelt, gibt es in den Chefetagen auch viele fähige Personen. Wenn Sie ein Verantwortlicher sind und dieses Buch noch nicht zur Seite gelegt haben, gehören sie mit großer Wahrscheinlichkeit dazu.

Was ist zu tun? Das Wichtigste ist ein gutes Betriebsklima. In einer Atmosphäre, die nicht durch Vorurteile verdunkelt wird, haben Scheinzwänge keine Chance. Wie kann eine solche Atmosphäre hergestellt werden? Dazu muß in erster Linie Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen genommen werden. Entgegen der häufigen Meinung, sind Menschen keine Maschinen. Im Gegenteil, Maschinen wurden ursprünglich dazu erfunden, den Menschen zu dienen und ihre Arbeit zu erleichtern. Vergessen Sie niemals, daß alle Ziele einer Gesellschaft am Wohlergehen ihrer Mitglieder orientiert sein müssen! Die Bedürfnisse der Menschen können von Fall zu Fall verschieden sein, sicher ist aber, daß sie ergonomische Arbeitsplätze benötigen und ganz besonders einen verständnisvollen (kommt von Verstand) und höflichen Chef, der ihnen ein Vorbild ist. Respekt sollte verdient und nicht erzwungen werden. Ein Vorgesetzter sollte sich selbstverständlich nicht durch Namen beeinflussen lassen, Ungerechtigkeit und Mißmut wären die Folgen.

Oft kann das Betriebsklima schon mit einfachen und kostengünstigen Maßnahmen verbessert werden. Das Aufstellen von Pflanzenkübeln, das Aufhängen von Bildern und das Auslegen von Zeitschriften und Büchern, wie z. B. diesem hier, in den Pausenräumen gehören dazu. In größeren Firmen gilt eine Sporthalle für die Angehörigen als Selbstverständlichkeit.

Auch im Privatleben sollte darauf geachtet werden, daß Namen keine Vorurteile hervorrrufen. Gerade Sie, als Leser dieses Buches, sind besonders gefragt. Machen Sie sich die Wirkung von Namen immer wieder bewußt. Sprechen Sie mit Ihren Freunden, wenn Sie der Meinung sind, daß sie sich von Namen beeinflussen lassen. Seien Sie ehrlich und aufrichtig, wenn Sie sehen, wie Menschen aufgrund ihres Namen diffamiert werden. Denken Sie daran, daß auch sie für andere Menschen eine Vorbildfunktion haben. Werden Sie dieser Rolle gerecht!

Ein Optimist ist jemand, der am Boden der Fallgrube nach Gold sucht.
K. Rabe