9 Entwicklungspsychologie

An englischen Kaminen erfreut sich das Spiel Nomen est Omen großer Beliebtheit. Bei diesem Spiel wird aus einem Namen eine Zahl errechnet. Jeder Zahl ist ein bestimmter Persönlichkeitstyp zugeordnet. Auf diese Weise läßt sich der Charakter eines Menschen auf äußerst einfache Weise bestimmen. Moderne Denker verwerfen dieses Spiel schnell in den Bereich des plumpen Aberglaubens, aber wir sollten uns ernsthaft mit der Frage befassen, inwieweit der Name tatsächlich einen Einfluß auf die Persönlichkeit hat.

Beschäftigen wir uns also etwas mit Entwicklungspsychologie, das heißt wir werden untersuchen, welche Faktoren in welchen Lebensabschnitten die Entwicklung des sozialen Verhaltens und der geistigen Entwicklung bestimmen.

Es sollte klar sein, daß der Name allein keine Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung hat. Wenn Sie weitab von jeglicher Zivilisation ohne soziales Umfeld aufwachsen würden, wäre es Ihnen egal, ob Sie Karl Müller, Ahmed Feisal, Cr27 oder Butterblume heißen würden. Es muß vielmehr die Wechselwirkung zwischen Name und Kulturkreis untersucht werden. Ein Kind mit dem Namen Wan Be Ton wird in China sicherlich ganz normal aufwachsen, in Deutschland jedoch wird er vielfach Hohn und Spott ausgesetzt sein. Ebenso wird sich Schneller Büffel in einem Indianerstamm am richtigen Ort fühlen, aber in Deutschland wird er schnell das Gefühl entwickeln, eigentlich woanders hinzugehören.

Werfen wir doch einmal einen etwas genaueren Blick auf die Kindheit und auf die ersten Erlebnisse, die mit dem eigenen Namen verbunden werden. Obwohl die Psychologie schon lange erkannt hat, daß die frühe Kindheit die Persönlichkeit eines Menschen deutlich prägt, werden doch gerade in dieser Phase entscheidende Fehler in Bezug auf die Namensnennung gemacht. Schon ein Baby besitzt ein ausgesprochen gut entwickeltes Gefühlsleben. Es kann zwischen Hunger, Schmerzen, diversen anderen Sinneseindrücken und der Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung unterscheiden. Gefühle sind aber immer mit der eigenen Identität, dem eigenen Ich verbunden. Das Kleinkind bestitzt bereits ein Ich–Gefühl. Leider wird diese Tatsache von Eltern und anderen sozialen Kontaktpersonen meistens nicht berücksichtigt. Das Baby wird nur in seltenen Fällen mit dem eigenen Namen angesprochen. Gewöhnlich heißt es das Kleine, das Ding, das Würmchen, Mäuschen, Kitschi Kitschi Kitschi, Blblbl und das alles auf einmal. Wie soll ein Säugling diese Begriffe verarbeiten? Möchten Sie in Ihrem Erwachsenenleben die Erinnerung, ein Würmchen zu sein, mit sich herumtragen? Bereits hier werden die Fundamente für eine spätere Identitätskrise gelegt.

In der frühen Kindheit entwickelt sich ein differenziertes Denkvermögen. Das Kind bemerkt, daß mit verschiedenen Namen auch verschiedene Erwartungen verknüpft sind, zum Beispiel kann eine Mutter Ihr Kind Mäuschen nennen, der Vater wiederum, der sich einen strammen Burschen wünscht, nennt ihn den kleinen Rambo, Tante Alma möchte ein Wunderkind und benutzt die Bezeichnung kleiner Mozart, Opa nennt ihn einfach Lausebengel.

Es ist schwer zu beurteilen, wie ein Kind derartig entgegengesetzte Erwartungen verarbeitet. Sicher ist jedoch, daß eine selbständige Persönlichkeitsfindung erschwert wird. Die meisten Menschen reagieren mit einem ausgeprägten Rollenverhalten, das Mäuschen für Mama, den Rambo für Papa, den Mozart für Tante Alma. Der Konflikt, der sich dabei auftut, ist offenkundig. Manche Kinder neigen auch zu einer den Erwartungen entgegengesetzten Trotzreaktion.

Es gibt aber auch Psychologen, die dieses Rollenverhalten positiv sehen. Sie sind der Meinung, die spätere Integration in die Gesellschaft würde dadurch begünstigt. Ein Bankangestellter ist während seiner Arbeitszeit auf das Tragen von guten Anzügen angewiesen, er muß stets ernst und sachlich beiben. Im Sportverein wird er aber eher leger gekleidet auftreten und durch seinen Humor besonders geschätzt sein. Für einen geübten Rollenspieler ist das natürlich kein Problem, für einen echten Individualisten stellt so ein Verhalten eine ernsthafte Hürde dar.

Obwohl ich nicht abstreite, daß ein ausgepägtes Rollenverhalten für das Individuum viele gesellschaftliche Vorzüge besitzt (es eckt weniger an), so führt es doch häufig zu zweifelhaften, sinnlosen und komischen Situationen, deren Nutzen für die gesamte Gesellschaft nicht einzusehen ist.

Vor einiger Zeit wohnte ich der kirchlichen Trauung eines Bekannten bei. Obwohl ich nicht glaube, daß ich der einzige anwesende Nichtchrist war, erhoben sich alle, außer mir, um das Vaterunser zu beten.

Verkäufer sehen durch ihre Berufskleidung nicht nur alle ziemlich gleich aus, sie haben häufig auch die gleichen psychologischen Schulungen absolviert, was den Umgang mit ihnen ebenso einfach wie langweilig macht. Eine Ausnahme bilden die Schuhverkäuferinnen, denen es stets gelingt, sich in einem dicht gedrängten Pulk in möglichst großer Entfernung zum Kunden aufzuhalten.

Eine ähnliche Gleichheit ist bei Fahrern von bestimmten Fahrzeugtypen zu beobachten. Diese Männer sehen nicht nur gleich aus, sie kleiden sich auch ähnlich und besitzen häufig die selben Vorlieben, ja selbst ihre Frauen sind vom Typ her fast alle gleich. Ich persönlich finde es äußerst bedauerlich, wenn zwischenmenschliche Beziehungen nicht auf den echten Persönlichkeiten beider Partner, sondern auf blindem Rollenspiel beruhen. Die Konsequenzen in Bezug auf Kindheitserziehung, Toleranz, Offenheit und anderen Charaktereigenschaften sind nicht abzuschätzen.

Wirklich gefährlich wird das Rollenverhalten bei Personen in einflußreichen Positionen. Politiker richten ihr Handeln nicht am Allgemeinwohl aus, sondern an Parteipositionen und Sachzwängen. Wissenschaftler und Ingenieure, die zu Hause die liebevollsten Familienväter sein können, entwickeln hemmungslos Atombomben und andere Waffen, die einst das Ende der Menscheit bedeuten können.

Ebenso beängstigend finde ich Menschen, die in der Menge „Ausländer raus!“ brüllen und diejenigen, die in der Masse, auf die Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ „Ja“ schreien.

Die angeführten Beispiele sollten verdeutlicht haben, daß blindes Rollenverhalten keinen echten gesellschaftlichen Fortschritt, sondern viele Gefahren mit sich bringt. Es ist deshalb sinnvoller, ein Kind stets bei seinem richtigen Namen zu nennen. Es ist zwar auch dann verschiedenen Erwartungen ausgesetzt, aber diese treten wenigstens nicht offen im Namen zutage, und können deshalb besser verarbeitet werden, so daß eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung begünstigt wird.

Ich persönlich ziehe eine individuelle Persönlichkeit stets einem angepaßten, langweiligen und farblosen Charakter vor.

Besorgte Eltern fragen mich immer wieder, ob denn ihre Kinder noch Cowboy und Indianer spielen dürften. Ja, selbstverständlich, denn hierbei handelt es sich um einen Ausdruck kindlicher Kreativität, und nicht um ein aufgezwungenes Rollenverhalten.

Spätestens, wenn ein Kind Schreiben lernt, beginnt es, sich besonders mit dem eigenen Namen zu identifizieren. Das erste geschriebene Wort ist meistens der Eigenname. Hier macht es einen großen Unterschied, ob dieser Name einfach oder kompliziert ist. Ein einfacher kurzer Name führt beim Kind zu einem schnellen Lernerfolg und das Schreibenlernen bleibt ohne seelische Folgen. Ein längerer oder komplizierter Name bedeutet für das Kind einen erhöhten Lernaufwand. Das Kind entwickelt daraufhin einen größeren Stolz, seinen eigenen Namen schreiben zu können, als Kinder mit einem einfachen Namen. Mit dem Stolz ist in vielen Fällen ein gewisser Missionsdrang, das erworbene Wissen weiterzugeben, zu beobachten. Das Kind versucht seinen Spielkameraden beizubringen, wie der eigene Name zu schreiben sei. Da diese dabei ebenfalls Probleme haben, entwickelt es ein gewisses Elitegefühl, das sich in allgemeiner Besserwisserei zu erkennen gibt.

Aus diesen Kindern entwickeln sich später in vielen Fällen Intellektuelle. Der infantile Hang, den eigenen Namen zu verbreiten, bleibt dabei in Form von Zeitschriftenartikeln und anderen Veröffentlichungen erhalten.

Es gab früher Stimmen, die behaupteten ein komplizierter Name würde die Intelligenz fördern, heute ist jedoch die Meinung verbreitet, daß ein Kind mit so vielen intelligenzfördernden Umweltreizen konfrontiert wird, daß der Name nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das vermehrte Auftreten von komplizierten Namen bei Intellektuellen ist einzig auf soziale und psychologische Einflüsse zurückzuführen.

Einen echten Vorteil besitzen Kinder, deren Nachname vorne im Alphabet steht. Bei vielen Gelegenheiten, z. B. in der Schule oder in Vereinen sind sie zuerst an der Reihe. Das führt schon frühzeitig zu dem Bewußtsein ganz vorn zu sein und somit zu einem höheren Selbstbewußsein. Umgekehrt ist die Situation bei Kindern, deren Nachname ganz hinten im Alphabet steht.

Mit der Verbreitung des eigenen Namens im Freundeskreis wächst bei dem Kind auch das Bewußtsein, welche Assoziationen mit seinem Namen verknüpft sind. In dieser Phase gewinnt der Name einen besonders starken Einfluß, weil die kindliche Persönlichkeit noch nicht besonders gefestigt ist. Da ich in diesem Buch bereits viele Beispiele für den Einfluß von Namen gegeben habe und auch noch geben werde, möchte ich an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen. Es sollte jedoch klar sein, daß besonders Namen, die sich leicht zu Spottnamen umwandeln lassen, einen nachhaltigen Einfluß auf die Persönlichkeit eines Menschen haben.

Die nächste wichtige Phase ist die Pubertät. Hier findet im allgemeinen die erste Liebe statt, die ersten Partnerschaften werden aufgebaut. Das Kapitel über Liebesbeziehungen hat gezeigt, wie extrem wichtig der Name bei der Partnerwahl ist. Denken Sie daran, daß während der Pubertät sämtliche Empfindungen viel intensiver als in anderen Lebensintervallen erlebt werden. Es ist wohl überflüssig, darauf hinzuweisen, daß ein falscher Name zu dauerhafter Beziehungsarmut führen kann.

Der junge Erwachsene hat die Persönlichkeitsbildung in den meisten Fällen bereits weitgehend abgeschlossen, zumindest hat der Name jetzt kaum noch Einfluß auf die Charakterentwicklung. Er besitzt vielmehr einen sozialen Einfluß auf andere, denn selbstverständlich beurteilt ein Erwachsener seine Mitmenschen nach ihrem Namen. Es wird in diesem Zusammenhang vielfach übersehen, daß der eigene Name bei vielen Erwachsenen dauerhafte Spuren hinterlassen hat. Diese Spuren offenbaren sich meistens in gewissen Marotten. Manchmal treten sie auch in Form von seelischen Störungen zutage, die von konservativen Psychologen nur selten auf den Namen zurückgeführt werden, woraus eine relativ geringe Erfolgsquote vieler Behandlungen resultiert.

Damit Sie sich selbst ein Bild von typischen Namensschädigungen machen können, habe ich die Liste der folgenden Persönlichkeitsprofile zusammengestellt, wie sie heute in der Namensforschung allgemein anerkannt sind.

Wer auf dem Wasser gehen will,
sollte erst Schwimmen lernen.
T. Groß