Aufwand zum Erlernen einer Sprache

Hoffnung

Wer sich etwas im Internet umsieht, gewinnt schnell den Eindruck, dass es keine besondere Kunst ist, sich eine Fremdsprache anzueignen.

  1. Auf dem Markt existieren zahlreiche Sprachkurse, die sich mit Marketing-Superlativen überbieten. Schnell und einfach soll das Sprachenlernen sein, kinderleicht und ohne Mühe. Diese Kurse werden angepriesen wie Wunderdiäten und Schlankheitsmittel und so manch kritischer Geist wird sich fragen, ob sie auch genau so wirksam sind.

  2. Die Konzepte der etablierten Anbieter sind längst überholt, verkünden zahlreiche Selbstdarsteller, die nach eigenen Angaben in wenigen Monaten eine neue Sprache erlernt haben, kinderleicht und ohne Mühe, versteht sich. Zufällig haben sie eine neue revolutionäre Lernmethode erfunden, die das Lernen rasant beschleunigt oder verweisen zumindest auf eine solche. Gegen einen mehr oder weniger geringen Obolus sind sie dann auch bereit, den staunenden Laien in ihre Geheimnisse einzuweihen.

Wer sich jetzt fragt, warum ausgerechnet ihm das Lernen so schwer fällt, den kann ich beruhigen. Internet und Realität sind zwei verschiedene Dinge.

Realität

Umfang einer Sprache

Werfen wir einmal einen Blick darauf, was man beim Erlernen einer Sprache so alles lernen kann (aber nicht unbedingt lernen muß):

  1. Eine Menge von Lauten, die gehört und gesprochen werden müssen.

    Ein Baby muß mindestens 500.000 Wörter hören, damit es die Laute und Wörter der Muttersprache versteht. Es dauert neun Monate, bis es anfängt, den Wörtern Bedeutungen zuzuordnen [Merz08].

  2. Schriftzeichen. Wer beispielsweise Chinesisch lesen können möchte, sollte einige tausend davon beherrschen.

  3. Eine Zuordnung von Schriftzeichen zu Lauten. Die lateinische Schrift paßt übrigens nicht besonders gut zu den Lauten vieler Sprachen. Woher soll ein Ausländer wissen, dass sch im Deutschen ein Zischlaut ist oder ei wie ai gesprochen wird? Und wieso wird die deutsche Sprache nicht de-utsk'e S-prak'e ausgesprochen? Steht doch da!

    Im Finnischen und Koreanischen passen Schrift und Sprache übrigens viel besser zusammen. Wir können vermuten, dass finnische und koreanische Schüler beim Lesen lernen einen gewissen Vorsprung haben.

  4. Der Duden enthält circa 130.000 Stichwörter. Zu vielen Stichwörtern existieren zusätzlich verschiedene Formen.

  5. Allein der Duden - Grundschulwörterbuch enthält 11.500 Begriffe.

  6. Das BI-Buch zur deutschen Grammatik enthält etwa 1.000 Grammatikregeln.

  7. Redewendungen: Ein Engländer in Deutschland könnte auf die Idee kommen, zu sagen, dass es Katzen und Hunde regnet, wenn er meint, dass es wie aus Eimern schüttet. Ein Ausländer wird sich vielleicht verwundert fragen, was er sagen soll: Es regnet viel, es regnet stark, es regnet intensiv, es regnet hart oder es regnet schwer? Dann kommt der deutsche Kollege vorbei und sagt Es gießt.

  8. Gebrauch der Sprache vor kulturellem Hintergrund. Hier wird vielen zuerst die Höflichkeit einfallen. Gerade die deutsche Höflichkeit ist international berüchtigt (das ist eine sprachliche Anspielung vor kulturellem Hintergrund :-). Da hat man gerade von den Kollegen "Mach doch mal die Tür zu!" gelernt und versucht dann, den Chef mit dem neuen deutschen Satz zu beeindrucken.

Können eines Muttersprachlers

  1. Der aktive Wortschatz eines Erwachsenen beträgt 6.000 - 16.000 Wörter [Kiese].

  2. Der passive Wortschatz eines Erwachsenen beträgt 20.000 - 80.000 Wörter [Kiese].

  3. Ein sechsjähriges Kind kann etwa 6.000 Wörter [Kiese].

Lerndauer

  1. Laut [Spitzer] lernt ein Kind in 90 Minuten 1 neue Vokabel.

  2. Aus den Wortschätzen verschiedener Altersstufen läßt sich grob schätzen, dass Kinder etwa 1.000 Wörter pro Jahr lernen (in den ersten Lebensjahren deutlich weniger).

  3. Wenn wir also lernen wie ein Kind, schaffen wir 1.000 Wörter pro Jahr und sind in sechs Jahren auf dem Stand eines Sechsjährigen. Und im Gegensatz zu Kindern haben die meisten Erwachsenen nicht so viel Zeit, eine neue Sprache zu erlernen.

  4. Jetzt wird sich hoffentlich niemand mehr wundern, warum Experten etwa 10.000 Lernstunden rechnen, um eine Sprache flüssig zu beherrschen [Amm05], [Eat11].

Erstes Fazit

  1. Eine Sprache zu erlernen ist eine Aufgabe für ein ganzes Leben.

  2. Wenn wir sagen, jemand spricht eine Fremdsprache, dann meinen wir, er spricht eine Untermenge dieser Sprache.

  3. Werbung suggeriert völlig unrealistische Erwartungen. Das führt dazu, dass viele Sprachschüler frühzeitig aufgeben, weil sie sich für zu blöd halten, aber auch zu Vorurteilen gegenüber Immigranten, von denen häufig erwartet wird, dass sie grad mal Deutsch lernen.

  4. Da die meisten von uns relativ wenig Zeit haben, um eine Fremdsprache zu erlernen, müssen wir sinnvolle Lernziele setzen und eine sprachliche Vorauswahl treffen.

  5. Effizientes Lernen hilft, die Zeit möglichst gut zu nutzen. Zu diesem Zweck ist es nützlich, sich etwas mit dem Lernen an sich zu beschäftigen.