Gehirn und Verarbeitung

Viele Daten, wenig Hirn

Vorbemerkung: Wer genauer wissen möchte, wie das menschliche Gehirn funktioniert, dem empfehle ich das Buch von [Spitzer] oder das Vorlesungsskript von [Funke].

Wer einmal durch eine belebte Großstadt geht, merkt sehr schnell, dass jede Sekunde Unmengen von Daten auf ihn einprasseln, Verkehrslärm, Stimmen, Bilder von Straßen, Häusern und Menschen, die achtlos an einem vorbeiströmen. Dazu spüren wir die Temperatur, den Wind, ab und zu einen Rempler unserer Mitmenschen und natürlich unseren eigenen Körper. Laut [Spitzer] beträgt diese Datenmenge jede Sekunde etwa 100 MB. Das entspricht, grob gerechnet, etwa einer Sekunde Film in HD-Qualität.

Mit diesen Daten müssen wir eine Menge tun. Schließlich wollen wir zu unserem Ziel navigieren, unseren Weg durch die Menge bahnen (möglichst ohne Rempler), nicht von einem Auto überfahren werden und nach Möglichkeit auch keine Bekannten übersehen (was trotzdem regelmäßig passiert).

Wer kurz innehält, stellt fest, dass das Bewegen durch eine Menschenmenge im großen und ganzen recht gut funktioniert und kann sich angesichts der verarbeiteten Datenmenge etwas auf die Schulter klopfen. 100 MB pro Sekunde. Wir hätten genau so gut etwa 550 mal Alice's Abenteuer im Wunderland lesen können. Mit dieser Geschwindigkeit schaffen wir 33.000 Bücher in der Minute. Ein triumphaler Erfolg!

Doch können wir all diese Daten auch behalten? Versuchen wir, uns zu erinnern. Wer ist vor 10 Sekunden an uns vorbeigegangen? Wem sind wir vor 20 begegnet? Eigentlich wissen wir nur noch, dass es Menschen waren. Vielleicht erinnern wir uns an ein paar Betrunkene, jemanden mit einer ungewöhnlichen Frisur oder mit etwas Glück an eine hübsche Frau im Minirock (Leserinnen mögen ihre Vorstellung von Glück hier einsetzen). Kurz: Es ist nicht allzu viel hängengeblieben.

Wir fassen uns an den Kopf und stellen fest, dass er ein Gehirn beherbergt, dass etwa die Größe einer Kokosnuß besitzt. Hätte man sich gleich denken können, dass da nicht allzu viel reingeht, wird jetzt mancher murmeln und vielleicht in der Wikipedia nachschlagen. Die Wikipedia erklärt uns, dass das Gehirn eine Speicherkapazität von circa 2 Petabyte besitzt [WikiGehirn]. Das ist viel, sogar sehr viel. Es reicht für etwa 10 Millarden Alice im Wunderland.

Trotzdem, es reicht nicht aus, alles zu speichern, was wir ständig mit unseren Sinnen aufnehmen. Wenn wir das tun würden, wäre das Gehirn nach 5.555 Stunden voll. Nach etwa einem Jahr (ich habe mit 8 Stunden Schlaf pro Nacht gerechnet) wäre unser Speicher prall gefüllt. Wir könnten nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr abspeichern. Jedes weitere Lernen wäre völlig unmöglich.

Vergessen erscheint uns jetzt auf einmal als Segen. Warum sollte irgend jemand jeden unwichtigen Kleinkram behalten wollen? Das menschliche Gehirn verfügt über eine Reihe von Strategien, mit denen der begrenzte Speicherplatz hervorragend genutzt werden kann:

  1. Wir lernen zuerst das Auffällige. (Informationen werden vorgefiltert.)

  2. Wir abstrahieren und generalisieren im starken Maße. (Daten werden verlustbehaftet komprimiert.)

  3. Wir vergessen ziemlich viel. (Unwichtiges wird ausgemistet.)

Das Auffällige zuerst

Die unzähligen Informationen, die auf uns einprasseln, werden erst einmal vorgefiltert, bevor sie unser Bewußtsein erreichen. Das ist für das Lernen ziemlich wichtig, denn die Hirnforschung hat gezeigt, dass wir im wesentlichen nur das lernen, was wir aufmerksam wahrnehmen [Spitzer].

Dabei können wir durchaus unbewußt lernen. Muttersprachler lernen die Grammatik einer Sprache nach Gefühl und nicht nach grammatikalischen Regeln. Aber auch hier ist eine intensive Beschäftigung mit der Sprache Voraussetzung. Lernen ohne Aufmerksamkeit kann zwar experimentell nachgewiesen werden, aber die Effekte sind äußerst gering [Dobrunz].

Stellt sich die Frage, was unser Bewußtsein erreicht und was von Anfang an verworfen wird? Das ist natürlich von Mensch zu Mensch etwas unterschiedlich, aber im wesentlichen gilt die Regel Das Auffällige zuerst. Wer nach einer längeren Autofahrt die Augen schließt, stellt fest, dass er ein Bild der Straße sieht. Wer einen Baum betrachtet, sieht zuerst einmal den Stamm und die Blätterkrone. Erst dann wendet man sich den Details zu. Wie sind die Äste angeordnet? Welche Form haben die Blätter?

Wer nach einer genaueren Definition für das Auffällige sucht, kann sich an folgender Liste orientieren:

  1. Grobe Strukturen: Straßen, Wege, Häuser, Wälder,...

  2. Ungewöhnliches, Abweichungen vom Normalen: seltsame Frisuren, bunte Anzüge, laute Geräusche, Stimmen in fremder Sprache,...

  3. Dinge, die uns interessieren. Das kann angeboren oder erlernt sein: Bedrohliches, sexuell Erregendes, Freunde, für das Hobby Interessantes, Künstlerisches,...

Natürlich lernen wir auch beim Kontakt mit einer neuen Sprache zuerst einmal nur das Auffällige. Koreanisch klingt wie Ajo Ojo, Japanisch wie Takataka, im Türkischen sind offensichtlich alle Vokale durch ein Ü ersetzt und bei Amerikanern weiß man nie, ob sie eine Fremdsprache sprechen oder nur eine heiße Kartoffel im Mund haben :-)

Abstrahieren und Generalisieren

Wer große Datenmengen effizient verarbeiten möchte, der bringt diese gerne in eine etwas handlichere Form. Dabei hat sich das Abstrahieren als nützliches Werkzeug herauskristallisiert.

Viele Menschen glauben, es würde ihnen schwerfallen, zu abstrahieren. Dabei ist gerade das Abstrahieren eine der meistgenutzten Funktionen unseres Gehirns. Wir alle erkennen, dass ein Strichmännchen einen Menschen darstellt. Ein Mensch, reduziert auf einige einfache Striche, das ist extreme Abstraktion.

Kinder gehen noch einen Schritt weiter (oder zurück, wie man's sieht). Sie zeichnen Kopffüßler [WikiKinderzeichnung]. Das ist im wesentlichen ein Kopf mit Beinen dran. Wer wissen möchte, wie die darauf kommen, kann ja mal eine Kamera auf ein Spielzeugauto montieren und dann per Kamerabild eine Zeitlang durch eine Fußgängerzone steuern.

Abstrahieren ist eine extrem nützliche Fähigkeit. Wenn ich zum Beispiel sage Wir treffen uns heute Abend am Baum vor der Stadt, dann wird diese Aussage in vielen Fällen ausreichen, um meinen Gesprächspartner tatsächlich zu treffen. Ich muß den Baum nicht näher beschreiben. Wir alle wissen, wie ein Baum aussieht und wenn wir einen sehen, erkennen wir ihn. Es spielt keine Rolle, ob der Baum exakt so ist wie in unserer Vorstellung, ob groß oder klein, alt oder jung, dick oder dünn, mit Blättern oder kahl, es ist ein Baum.

Damit können wir extrem Speicherplatz sparen. Wir benötigen nämlich nur die ungefähre Vorstellung eines Baumes. Natürlich könnte ich meinem Gesprächspartner auch ein hochaufgelöstes Bild des Baumes übergeben. Das benötigt einige Megabytes an Speicherkapazität. Wir begnügen uns aber mit dem Wort Baum (4 Bytes) und haben damit etwa einen Faktor eine Million Speicherplatz gespart. (Einige Erbsenzähler werden jetzt darauf hinweisen, dass wir Platz für das Baumschema benötigen ;-)

In der Praxis gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir generalisieren unsere Kenntnisse, getreu nach dem Motto Wer einen Baum kennt, der kennt alle. Das machen übrigens auch Tiere. Ein Affe, der vor einem Löwen flieht, wird auf jedem Baum Schutz suchen und nicht nur auf denen, die er bereits ausführlich erkundet hat. Zu Recht erwartet er, dass sich alle Bäume gleich verhalten und sich erklettern lassen und zwar von Affen, nicht von Löwen.

Ich verhalte mich ähnlich, wenn ich eine unbekannte Stadt besuche. In meiner Heimatstadt habe ich gelernt, dass auf Straßen Autos fahren und Bürgersteige sicher sind. Dieses Wissen kann ich auch auf Seoul oder Tokyo übertragen und diese Städte mit großer Wahrscheinlichkeit überleben. Es lebe die Affenstrategie!

Solche Verallgemeinerungen sind natürlich sehr praktisch und sparen Speicherkapazität und Rechenzeit. Nur deshalb kommen wir mit unserer arg begrenzen Erfahrung in einer Welt der unbegrenzten Vielfalt zurecht. Allerdings hat dieses Vorgehen auch Nachteile. So entstehen beispielsweise Vorurteile. Und bei komplexen Problemen, die hohes Detailwissen erfordern, sind wir schnell überfordert. Menschliches Denken ist nicht darauf ausgerichtet [Dörner][Cerf].

In Bezug auf Sprachen bieten Abstraktion und Verallgemeinerung sowohl Vor- als auch Nachteile. Zuerst einmal ist Sprache Abstraktion pur und ohne unsere Abstraktionsfähigkeit wäre Sprache überhaupt nicht möglich. Wir können aus Büchern nicht nur lernen, sondern uns in fremde Welten entführen lassen und dort die unglaublichsten Abenteuer erleben. Eine fremde Welt, komprimiert auf einige hundert Kilobytes, das ist schon ein Wunder.

Wir können auch völlig neue Ausdrücke bilden, die mit der ursprünglichen Bedeutung nur wenig zu tun haben. Wenn ich sage Er fährt einen heißen Schlitten, weiß jeder, dass ich ein schnelles Auto meine. Wir wissen, dass ein Schlitten ein Fortbewegungsmittel ist und heiß ein Extremzustand eines Sinnes. Demnach ist ein heißer Schlitten ein extremes Fortbewegungmittel, womit in unserer Gesellschaft gewöhnlich ein schnelles Auto gemeint ist. Zum Glück müssen wir nicht groß über so etwas nachdenken. Unser Gehirn tut das weitgehend automatisch. Wenn aber der soziale Kontext fehlt, stoßen wir schnell an unsere Grenzen, weshalb Jugendsprache für Erwachsene oft unverständlich bleibt.

Das ist ein grundsätzliches Problem beim Sprachenlernen. Da Sprache bereits hochkomprimierte abstrakte Information darstellt, wird umfangreiches kulturelles Kontextwissen benötigt, um sie zu verstehen. Beispiele:

  1. Er schoß um die Ecke wie ein geölter Blitz.

  2. Sie machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.

  3. Sie machte ein Gesicht wie ein altes Kino vor dem Abriss.

Was ist ein geölter Blitz? Was würde ein Wüstenbewohner unter einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter verstehen? Sieben Tage im Paradies? Und wie bitte um alles in der Welt soll irgend jemand den letzten Satz verstehen? Das ist schwer zu erklären, aber für Leute, die alte Kinos kennen, leicht zu verstehen.

Da Sprache bereits sehr abstrakt ist und wir nicht nur unsere gesamte Umwelt, sondern auch unsere Gedanken damit beschreiben, ist jede natürliche Sprache sehr komplex und erfordert umfangreiches Detailwissen. Da wir zuerst einfache grobe Strukturen erfassen und erst später die Details, dauert Sprachenlernen sehr lange.

Natürlich ist es auch anders denkbar. Manche Menschen erkennen Details sehr schnell. Daniel Tammet [Tammet] kann eine Fremdsprache in einer Woche so weit erlernen, dass er darin Alltagsgespräche führen kann. Trotzdem möchten wohl die wenigsten mit ihm tauschen, denn eine solche Fähigkeite hat ihren Preis. Tammet kann beispielsweise nicht Auto fahren. Wenn er an einer Reihe von parkenden Autos vorbeifahren muß, sieht er nicht einfach eine Reihe von Autos, sondern einen gelben Fiat aus Kiel, einen dunkelblauen Mercedes aus Hamburg mit einem Schaden am linken Kotflügel, einen roten Volkswagen aus Wolfsburg mit einer Aufkleber links hinten an der Heckscheibe und wahrscheinlich noch viel mehr. Kurz: Er kann die unwichtigen Details nicht ausblenden und die Masse an Informationen nicht schnell genug verarbeiten. Beim Sprachenlernen kommt es aber genau auf diese Details an. Deshalb ist er beim Sprachenlernen schnell, aber in vielen Alltagstätigkeiten eingeschränkt.

Es läßt sich zusammenfassen, dass der normale Mensch eher grob und schlampig denkt. Das erlaubt eine schnelle und effiziente Informationsverarbeitung, die für das Überleben in der Wildnis und in der Großstadt von Vorteil ist. Für schnelles Lernen von komplexen Inhalten ist diese Denkweise aber nicht so gut geeignet.

Vergessen

Wir vergessen ziemlich viel und viele Menschen hätten gerne ein besseres Gedächtnis, doch Vergessen ist eine wichtige Sache. Das sprichwörtliche Gedächtnis wie ein Sieb ist gar nicht so schlecht. Es siebt die wichtigen Informationen aus und sorgt dafür, dass wir nicht mit unwichtigen belastet werden. Nebenbei können wir auch falsch Gelerntes löschen und somit unser Wissen und unsere Meinung korrigieren.

Wenn wir uns fragen, wie unser Gedächtnis funktioniert, finden wir uns unmittelbar in der Rolle einer unordentlichen Schülerin wieder, die alles wichtige auf den Boden ihres Zimmers wirft, in der Hoffnung, dass es dort verbleiben möge. Doch kaum ist sie aus dem Haus, kommt die Mutter und räumt auf! Dabei geht sie ziemlich rigoros vor. Die Mangas landen im Regal bei den anderen, das Pop-Star-Poster wird als wertvoll erkannt, weil ähnliches an den Wänden hängt, aber das wertvolle Autogramm auf dem abgerissenen Notizzettel wird als Müll kategorisiert und entsorgt.

Unser Gedächtnis arbeitet ziemlich genau so wie eine Mutter. Alles, was einen Bezug zu bereits Vorhandenem hat, wird gut behalten. Der Rest kommt weg. Dass die Mutter in unserem Gedächtnis dabei sehr gründlich ist, zeigt die Ebbinghaussche Vergessenskurve, die Ebbinghaus bereits um das Jahr 1900 publizierte.

Ebbinghaussche Vergessenskurve

Die Ebbinghaussche Vergessenskurve zeigt die Menge von Erinnerungen in Abhängigkeit von der Zeit.

Wenn wir etwas völlig Neues lernen, haben wir nach nur einem Tag bereits 2/3 wieder vergessen. Nach einer Woche verbleiben nur noch 20% im Gedächtnis. In dieser Form gilt die Kurve zum Glück nur für unsinnigen Lehrstoff. Folgende Informationen bleiben besonders gut hängen:

  1. Auffälliges: Grobe Strukturen, Ungewöhnliches, Interessantes.

    Genaueres dazu unter „Das Auffällige zuerst“. Unauffällige Informationen gelangen gar nicht erst ins Bewußtsein. Deshalb müssen wir uns beim Lernen auf viele Dinge bewußt konzentrieren.

    Beispiel: Die Mutter verschont bei ihrer Aufräumaktion das rosa Plüschschwein, weil es völlig aus dem Rahmen fällt.

  2. Dinge, die mit Gefühlen verbunden sind.

    Beispiel: Die Tochter wundert sich, warum nach jeder Aufräumakion ihrer Mutter stets die Fotos oben liegen, auf denen auch der nette Geschichtslehrer zu sehen ist.

  3. Dinge, die sich mit anderen Informationen verknüpfen lassen.

    Beispiel: Die Mutter stellt die Mangas zu den anderen ins Regal.

    Besonders vorteilhaft ist es, wenn jemand bereits Hintergrundwissen zu einem Thema besitzt. Nicht zufällig sagen viele Menschen auch Das kann ich nicht einordnen, wenn sie eine für sie völlig neue Information bekommen. In diesem Fall können Eselsbrücken und andere Merktechniken hilfreich sein.

  4. Dinge, die über einen längeren Zeitraum wiederholt auftreten.

    Beispiel: Die Tochter stellt ein bestimmtes Bild auf ihren Nachttisch, dass bei den Aufräumaktionen ihrer Mutter regelmäßig beiseite gelegt wird. Ihre Gegenstrategie: Das Bild wird immer wieder auf dem Nachttisch positioniert bis die Mutter aufgibt.

Fürs Sprachenlernen sind besonders das Verknüpfen und Wiederholen von Bedeutung. Während Punkt 1 eher ein Informationsfilter ist, sind Gefühle den außergewöhnlichen Lebenssituationen vorbehalten, auch wenn sie das Lernen außerordentlich fördern (koreanische Freundin, Schwärmerei für einen K-Pop-Star,...) oder behindern können (Versagensängste, Lernhemmung,...).

Arbeitsgedächtnis

Wenn wir uns bewußt mit etwas beschäftigen, zum Beispiel etwas lernen, benutzen wir unser Arbeitsgedächtnis (oder Kurzzeitgedächtnis). Das Kurzzeitgedächtnis ist relativ klein ausgefallen. Es passen nur etwa 7 Informationseinheiten hinein und nach 10 - 20 Sekunden sind diese Informationen schon wieder vergessen. (Manchmal werden auch Zeiträume von Minuten angegeben.)

Was eine Informationseinheit nun genau ist, das ist etwas willkürlich und hängt auch vom Hintergrundwissen eines Menschen ab. Beispiele:

  1. 68714642: 8 einzelne Zahlen = 8 Informationseinheiten.

    Lustigerweise können Zahlen gruppiert werden und bleiben damit leichter im Gedächtnis: 68 71 46 42.

  2. Einstein: 1 Informationseinheit

  3. Csikszentmihalyi: Schwer zu sagen. Das hängt stark vom Hintergrundwissen des Individuums ab. Wer Ungarisch beherrscht, sollte damit keine Probleme haben.

    Dieser Name ist übrigens auch für englischsprechende Menschen leicht zu merken. Csikszentmihalyi hat angeblich folgende Merkhilfe empfohlen: Chicks sent me high [WikiCsikszentmihalyi].

Dass nun 8 Ziffern mehr Informationseinheiten sind als 8 Buchstaben im Falle von Einstein liegt daran, dass Menschen Informationen verknüpfen und bündeln können. Einstein hat für die meisten von uns eine konkrete Bedeutung, eine Kombination von 8 Ziffern hat das nicht.

Ein Arbeitsgedächtnis von nur sieben Informationseinheiten wirkt auf den ersten Blick etwas unterdimensioniert und könnte so manchem Zeitgenossen Grund zur Besorgnis geben. Tatsächlich sind Menschen mit komplexen Inhalten sehr leicht überfordert. In der alltäglichen Praxis funktioniert unser Gehirn aber besser als gedacht, weil die Informationen im hohen Maße verknüpft und strukturiert sind.

Wenn ich Hamburg sage, muß ich nicht mit Details herumhantieren. Erst, wenn jemand Näheres wissen möchte, krame ich in meinem Gedächtnis und fische weitere Informationen hervor, die unter Hamburg abgelegt sind. Das ist natürlich viel effizienter als wenn ich jedesmal alles, was ich über Hamburg weiß, auf einmal ins Gedächtnis rufen müßte. Das würde eine große Kapazität meines Arbeitsgedächtnisses und eine hohe Übertragungsbandbreite in selbiges erfordern.

Neue Informationen müssen erst einmal eingeordnet werden. Wenn mich jemand fragt, was die Außenalster ist, sage ich, das ist ein See in Hamburg. Das ist leicht zu verstehen für jemanden, der weiß, was Hamburg ist. Fehlen solche Hintergrundinformationen, dann wird es sehr schwer. Wenn ich sage, ein Prixelplix ist das Teil zwischen Schonsanne und Balabartrix, sollte man schon wissen, was Schonsanne und Balabartrix sind, um mich zu verstehen. Sonst wird mein Gegenüber etwas sagen wie Das kann ich nicht einordnen.

Was wir schlecht einordnen können, behalten wir auch schlecht. Wir müssen erst einmal damit im Arbeitsgedächtnis hantieren und Ordnung schaffen. Sobald neue Informationen irgendwie verknüpft sind (Verbindung mit Bekanntem, Eselsbrücken), können wir sie leichter behalten. Da das Arbeitsgedächtnis aber sehr klein ist, gibt es einige Restriktionen:

  1. Wir können unbekannte Dinge nur in kleinen Portionen lernen. Komplexes müssen wir zerlegen und strukturieren.

  2. Wenn wir zu viel hintereinander lernen, verdrängen wir das eben Gelernte rückstandslos wieder aus dem Arbeitsgedächtnis.

    Das ist besonders wichtig, wenn das Lernmaterial so neu ist, dass es nur schlecht eingeordnet werden kann wie beispielsweise Vokabeln.

    Deshalb empfiehlt es sich, über neu Gelerntes nachzudenken und es im Kopf zu wiederholen, damit es sich besser festsetzt. Danach kann die nächste Lernportion in Angriff genommen werden.

  3. Wir müssen uns auf neue Stoffe konzentrieren. Jegliche Art von Ablenkungen nimmt sofort einen großen Teil des Arbeitsgedächtnisses in Anspruch.

Ob so ein kleines Arbeitsgedächtnis nun ein Fluch oder Segen ist (oder beides), mag jeder für sich selbst entscheiden. Für komplexe Denkarbeit ist es jedenfalls nicht so gut geeignet (wie jeder Schüler und Student weiß), aber dadurch werden Kapazitäten frei, um das Gehirn im Automatikmodus zu betreiben, was uns eine Menge Denkarbeit erspart. Ich bin jedenfalls froh darüber, dass ich beim Schlendern durch eine Fußgängerzone nicht ständig darüber nachdenken muß, wie ich die nächste Kollision vermeiden kann :-)

Der kleine Nachteil daran ist, dass wir uns etwas bemühen müssen, um etwas zu lernen oder Vorurteile zu überwinden.

Musterverarbeitung

So mancher wird jetzt den Verdacht hegen, dass wir mit unserem relativ kleinen Arbeitsgedächtnis ein eher gemächliches Denktempo vorlegen. Das wäre natürlich sehr schlecht. Wenn ich einen Freund in der Stadt treffe, erwartet er zurecht, dass ich ihn erkenne, bevor ich vorbeigelaufen bin und wenn ich einem Löwen gegenüberstehe, möchte ich das gerne schnellstens wissen, ohne lange darüber nachdenken zu müssen, was das denn wohl für ein Tier ist.

Nun ist das Arbeitsgedächtnis tatsächlich langsam, aber viele Prozesse laufen glücklicherweise ohne unser Zutun automatisch und blitzschnell ab. Eine klassische Stärke des Gehirns ist die Musterverarbeitung und die spielt für die Sprache eine wesentliche Rolle. (Eine Einführung zur kybernetischen Signalverarbeitung findet sich bei [Braitenberg], ein Überblick über neuronale Netze bei [Steinmetz].)

Wenn Menschen sprechen, denken sie selten über den Satzaufbau nach. Stattdessen benutzen sie vorgefertigte Muster und Textbausteine. Jeder besitzt für ihn typische Floskeln und Satzbildungen. Wenn jemand Grüße ausrichten lassen will, benutzt er vielleicht die Redewendungen:

  • Grüß Luna von mir!

  • Grüß Sunny von mir!

Ein anderer bevorzugt:

  • Bestell Luna schöne Grüße!

  • Bestell Sunny schöne Grüße!

Und wieder ein anderer verwendet lieber:

  • Grüße an Luna!

  • Grüße an Sunny!

Im großen und ganzen sind diese Sprachmuster sehr individuell und bei längeren Texten so charakteristisch wie ein Fingerabdruck. Das läßt sich nutzen, um Autoren eines Textes zu identifizieren. Typische Anwendungen sind:

  1. Zuordnung von historischen Texten zu deren Autoren.

  2. Fahndung nach verdächtigen Personen.

  3. Identifikation von Personen im Internet, wenn sie unter Pseudonym texten.

  4. Erstellen von Persönlichkeitsprofilen.

Sätze bewußt nach Regeln zu bilden, ist relativ schwer und benötigt viel Zeit. Als Selbstversuch kann jeder einmal probieren, die folgenden einfachen Regeln umzusetzen:

  1. Vor Wörter, die mit einem Konsonanten beginnen, wird die Silbe pie gesetzt.

  2. Vor Wörter, die mit einem Vokal beginnen, wird die Silbe pah gesetzt.

Einfacher geht es kaum, aber schnelles Sprechen ist damit kaum noch möglich:

  • pieder piesoldat piemit piedem piestahlhelm piepinkelte pahan pieden piebaum.

  • pahihre pahaugen piewaren piegroß pahund pietraurig, pieganz pahim piegegensatz piezu pahihren piehaaren, piedie piekurz pahund piekeck pahin pahalle pierichtungen piestanden.

Das sollte eigentlich jeden davon überzeugen, dass es mit bewußter Regelanwendung sehr schwer ist, Sätze zu erzeugen. Auch das Verständnis ist deutlich erschwert, aber unsere Wahrnehmung ist erstaunlich fehlertolerant. So dürften die meisten die einzelnen Worte aus den obigen Sätzen heraushören.

Beim Hören und Lesen sind eine Vielzahl von Musterfiltern gleichzeitig aktiv, wir erkennen Worte, Satzteile, typische Floskeln, grammatikalische Konstrukte und bekommen das Ergebnis ans Bewußtsein geliefert.

Prinzipiell kann die Musterverarbeitung sogar noch weiter gehen. So programmierte [Weizenbaum] bereits 1966 das Programm Eliza, eine computerisierte Gesprächspartnerin. Eliza wertete Texteingaben mit simplen Algorithmen zur Mustererkennung aus und generierte daraus wieder mit Mustern die Antworten. Das Programm war derart überzeugend, dass man sich immer wieder fragen muß, ob nicht manche Menschen ständig im Vollautomatikmodus funktionieren ;-)

Exkurs: Prinzipien und Musterverarbeitung

Muster spielen in unserem Leben eine größere Rolle als die meisten annehmen. Wenn wir etwas häufig tun, läuft es irgendwann automatisch ab. Das gilt nicht nur für Grammatikregeln, Klavierspielen oder Bewegungsabläufe im Sport. Es gilt für alles, was wir im täglichen Leben tun. Man spricht nicht umsonst von Verhaltens- und Bewegungsmustern.

Eigentlich ist Musterverarbeitung sinnvoll, denn sie entlastet uns von alltäglichen Aufgaben. Wir müssen nicht mehr über Gewohntes nachdenken, Musterverarbeitung läuft automatisch ab und ist schnell. Natürlich freue ich mich darüber, wenn ich beim Tippen dieses Textes nicht darüber nachdenken muß, wo die Tasten liegen, aber genau das wird häufig zum Problem. Musterverarbeitung ist uns irgendwann nicht mehr bewußt. Still verrichtet sie ihre Tätigkeit im Hintergrund und macht uns zu Marionetten unserer Gewohnheiten.

Wir nehmen jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit, verrichten diese routiniert, gehen immer in die gleichen Restaurants und treffen uns regelmäßig mit den gleichen Menschen. Irgendwann wird dieses Leben automatisch und Menschen klagen darüber, sie würden sich fühlen wie eine Maschine oder hätten den Kontakt zu sich selbst verloren. Von jüngeren Mitmenschen kommen Kommentare wie Der ist ganz schön eingefahren oder starrsinnig.

Oft hilft es, sich wieder bewußt zu machen, was man tut oder etwas Neues zu versuchen. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass sich viele Menschen in dieser Phase ein neues Hobby suchen oder sich mit Aufmerksamkeitsmeditation oder den traditionellen asiatischen Wegen (Kampfsport, Teezeremonie, Kalligrafie) beschäftigen, die ein hohes Maß an bewußter Aufmerksamkeit erfordern.

Auch typische Alterserscheinungen sind mit Musterverarbeitung erklärbar. Nehmen wir als Beispiel einen Go-Spieler. Am Anfang seiner Karriere wird er viel über jeden einzelnen Zug nachdenken. Er verfügt über kein Repertoire von typischen Verhaltensmustern. Deshalb ist er langsam und macht viele Fehler. Es ist unmöglich, alles im voraus zu überdenken. Dann gewinnt er Erfahrung. Typische Spielsituationen kann er mit gespeicherten Mustern vergleichen und schnell reagieren. Er gewinnt Zeit, um über ungewöhnliche Konstellationen nachzudenken und wird dadurch flexibel. Er ist auf der Höhe seines Könnens. Aber je mehr Erfahrung er hat, desto mehr läuft automatisch ab. Das wird allmählich zum Problem, denn die Automatik tritt an die Stelle der bewußten Denkarbeit. Muster bestimmen sein Handeln. Er kann nicht mehr frei denken und seine Leistung sinkt wieder.

Dieses Beispiel mag manchem als hypothetisch erscheinen, aber die Forschung gibt einige Hinweise darauf, dass es tatsächlich so ist. Oder anders ausgedrückt: Das Gehirn benötigt Neues, um jung zu bleiben, neue Aufgaben, neue Bewegungsmuster, neues Denken, aber nicht zu viel davon. Das heißt dann Streß.

Der Gegenspieler der unbewußten Musterverarbeitung ist das bewußte Denken im Rahmen von Prinzipien oder Regeln. Ein gutes Beispiel ist der Flug. Jahrhundertelang träumten Menschen vom Fliegen, indem sie versuchten, das Muster des Vogelflugs zu imitieren. Das hat nicht besonders gut funktioniert, denn Menschen und Vögel sind anders gebaut. Dann begannen die Menschen die Prinzipien der Aerodynamik zu verstehen und konstruierten Flugzeuge, die ganz anders fliegen als Vögel. Die zugrundeliegenden Naturgesetze sind aber gleich.

Muster sind nichts anderes als Manifestationen von Prinzipien unter bestimmten Randbedingungen. Sie sind nützlich, aber sie lenken uns häufig in falsche oder starre Bahnen. In der Technik kommen Innovationen häufig von Fachfremden, denen die Denkmuster einer Branche fremd sind. Muster sind schnell und bequem, aber sie stellen auch immer das Alte, Vertraute dar. Fortschritt hingegen ist immer das Neue, Außergewöhnliche, für das es noch keine Muster gibt.

Sowohl das Denken in Mustern als auch das in Prinzipien hat Vor- und Nachteile. Beides hat seinen Platz im menschlichen Denken, aber wir tun gut daran, uns ab und zu bewußt zu machen, warum wir etwas tun.

Denken in Mustern

  1. schnell

  2. unflexibel

  3. dumm (wird ohne Nachdenken verwendet, oft fälschlich, wenn der Input ähnlich ist)

Denken in Prinzipien / Regeln / Naturgesetzen

  1. flexibel

  2. langsam

  3. fortschrittlich (führt häufig zu neuen Erkenntnissen und Innovationen)

Wer Spaß daran hat, kann sich auf die Suche nach Mustern bei sich selbst, in der Gesellschaft (typisch: Rituale) oder in seinem Fachbereich machen. Sie zeichnen sich typischerweise dadurch aus, dass sie ohne Nachdenken routinemäßig durchgeführt werden. Oft sind sie sinnvoll, häufig aber auch so grotesk wie ein Regentanz.

Schlaf

Lernen im Schlaf ist der Traum vieler Menschen und das geht tatsächlich, sogar vollautomatisch. Im Schlaf wird Gelerntes neu geordnet [Spitzer]. Oder um bei unserer Faule-Schülerin-Metapher zu bleiben: Der Schlaf ist die Zeit, in der die Mutter kommt und das Zimmer aufräumt. Viele kennen das Phänomen, dass irgendein Stoff an einem Tag partout nicht ins Hirn will und am nächsten Tag geht alles ganz einfach. Das ist das Wunder des Schlafes.

Der vielfach verbreitete Wunderglaube, man könne im Schlaf Lerninhalte von außen einspielen, ist allerdings ein Irrtum [Dobrunz], was Schüler in aller Welt tagtäglich im Unterricht beweisen :-) Entspanntes Lernen funktioniert übrigens auch nicht besonders gut. Dazu ist schon eine leicht gespannte Konzentration notwendig. Es ist kein Zufall, dass der spannende Film besser im Gedächtnis bleibt als der langweilige.

Pausen

Pausen sind die kleinen Schwestern des Schlafes. Auch während der Pausen werden Lerninhalte verfestigt, und zwar ganz ohne unser Zutun. Es ist eindeutig so, dass Lernen mit Pausen effektiver ist als Lernen ohne Pausen [Ash12].

Dabei ist leider nicht klar, wie lang die optimale Dauer von Lernphase und Pause sein sollte. Wahrscheinlich hängt das vom Menschen und Lernstoff ab. Die Tätigkeit während der Pausen scheint relativ egal zu sein. Wichtig ist, dass sie möglichst wenig mit dem Lernen des gerade bearbeiteten Stoffes zu tun haben sollte.