Der ideale Sprachkurs

Einführung

Die gute Nachricht: Menschen haben schon immer Fremdsprachen gelernt und egal, mit welchen Lehrmethoden sie über die Jahrhunderte traktiert wurden, zumindest einige waren erfolgreich. Der Mensch ist im hohen Maße flexibel und schafft es immer wieder, etwas zu lernen, auch unter widrigen Bedingungen.

Das heißt nicht, dass Sprachkurse überflüssig wären. Ganz im Gegenteil. Ein guter Sprachkurs kann das Lernen wesentlich beschleunigen. Koreanisch beispielsweise galt früher als für Westler unlernbar. Erst seitdem es gutes Lehrmaterial gibt, gelingt es auch Westlern, diese Sprache zu erlernen. Sie ist uns einfach zu fremd und wir besitzen zu wenig Anknüpfungspunkte, um sie uns von allein zu erschließen.

Leider gibt es keinen idealen Sprachkurs für Alle. Lernen ist hochgradig individuell und hängt im starken Maße von Vorwissen, Interessen, Motivation, Disziplin und vielen weiteren Faktoren ab. Der optimale Sprachkurs wäre exakt auf eine Person abgestimmt.

Deshalb ist klar, dass verschiedene Sprachkurse bei verschiedenen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen. Wir müssen uns also nicht wundern, wenn ein bestimmter Sprachkurs von manchen Menschen gelobt und von anderen kritisiert wird. Mit der Qualität des Kurses hat das nicht unbedingt etwas zu tun.

Aus den grundlegenden Lernprinzipien lassen sich einige Voraussetzungen ableiten, die jeder gute Sprachkurs erfüllen sollte. Das ist nicht nur für die Auswahl (oder Erstellung) eines Sprachkurses interessant, sondern insbesondere für selbstständiges Weiterlernen über den Sprachkurs hinaus. Viele Sprachkurse sind nur Einführungen und lassen den Schüler auf einem Niveau weit unterhalb der Alltagssprache zurück (typischer Sprachkurs: 1.000 Vokablen, Wissen eines Zehnjährigen: 10.000 Wörter). Weiterführende Sprachkurse für exotische Sprachen dürften sich in den meisten Fällen kommerziell nicht lohnen.

Wo bin ich? Wohin will ich?

Eine Fremdsprache zu erlernen, ist ein aufwändiges Unterfangen. Deshalb sollte sich jeder, der eine Sprache erlernen möchte, erst einmal fragen, wo er steht und wohin er will. Wenn die Ziele unrealistisch sind, sind Frust und Enttäuschung vorprogrammiert. Viele Sprachkurse lassen ihre Schüler mit vermindertem Selbstwertgefühl zurück, weil sie anfangs überzogene Erwartungen schüren, um den Verkauf anzukurbeln. Das ist in meinen Augen kein idealer Sprachkurs. Für eine realistische Selbsteinschätzung sind die folgenden Fragen hilfreich, die in ähnlicher Form im Internet zu finden sind (Übersetzung: Ich glaube, ich habe das so ähnlich irgendwo gelesen, aber die Quelle vergessen ;-):

  1. Was sind die Gründe, diese Sprache zu erlernen? Sind die Gründe ausreichend, um langfristige Motivation zu gewährleisten?

  2. Welche Ziele habe ich? Der Abschnitt „Lernziele“ geht näher darauf ein.

  3. Bestehen Vorkenntnisse, die das Lernen erleichtern und auf die aufgebaut werden kann? Das ist vielfach der Fall. In Europa sind sich viele Sprachen ähnlich. Nicht selten kennt der Anfänger bereits Hunderte von Lehnwörtern und ist mit der Aussprache vertraut.

  4. Welche Möglichkeiten bestehen, mit der Fremdsprache in weiteren Kontakt zu kommen?

  5. Gibt es jemanden, der beim Lernen der Sprache behilflich sein kann?

  6. Wie kann die zum Lernen notwendige Zeit in das eigene Leben eingebaut werden?

Ich möchte übrigens niemanden davon abhalten, eine Fremdsprache zu erlernen. Im Gegenteil, ich halte das Erlernen einer Fremdsprache für außerordentlich lohnend. Am besten ist es natürlich, einfach mal zu testen, ob die Sprache die richtige ist und ob es mit dem Lernen funktioniert. Leider ist das mit dem Antesten in unserer Kultur nicht allzu verwurzelt und wer es tut und dann nicht weitermacht, gerät schnell in den Ruf, aufgegeben zu haben (zumeist bei Leuten, die außerhalb von Schule und Urlaub keine Fremdsprachen mehr gehört haben ;-). Aber letztlich ist es wie beim Essen: Wer wissen will, ob etwas schmeckt, muß es probieren.

Das richtige Lernfenster

Erst die Grundlagen, dann das Komplizierte. Der Abschnitt „Vom Einfachen zum Komplexen“ weist darauf hin, dass es so etwas wie ein optimales Lernfenster der Komplexität gibt. Das Problem daran: Dieses Lernfenster ist für jeden anders.

Selbst bei Menschen, die innerhalb einer Kultur aufgewachsen sind, gibt es bereits bei Schuleintritt große Unterschiede, in welchem Maße diese Menschen Sprache ausgesetzt waren. Merzenich verweist auf eine Untersuchung, nach der Kinder aus bessergestellten Familien 30 Millionen (!) mehr Wörter gehört haben als Kinder aus armen Familien [Merz08]. Das entspricht einem Vorsprung von mehreren Jahren bei Schuleintritt! Kein Wunder, dass es später beim Fremdsprachenlernen große Unterschiede gibt, denn die Sprachen, die wir in der Schule lernen, sind im allgemeinen mit unserer Muttersprache eng verwandt.

Für einen idealen Sprachkurs sind folgende Regeln hilfreich:

  1. Das Niveau sollte auf das Vorwissen der Schüler abgestimmt sein. Im Idealfall baut der Kurs direkt auf dieses Wissen auf.

  2. Grundsätzlich ist das Lernen in kleinen Portionen empfehlenswert, die vor der nächsten Portion erst einmal eingeübt werden. Unser Arbeitsgedächtnis ist zu klein, um große Mengen neuen Stoffes auf einmal aufzunehmen.

  3. Grammatik sollte aufeinander aufbauen, also erst einmal einfache Formen, die nach und nach zu komplizierteren Sätzen ausgebaut werden. Selbst Daniel Tammet beginnt mit Kinderbüchern.

Die meisten Menschen werden die obigen Punkte für selbstverständlich halten, doch gerade im Bereich des Sprachenlernens glauben immer noch viele an den Mythos der Immersion und empfehlen authentisches Material. Wer den Abschnitt „Immersion“ gelesen hat und mir immer noch nicht glaubt, kann gerne versuchen, einen authentischen koreanischen Text in Eigenarbeit zu erlernen.

Dass häufig der Eindruck entsteht, Immersion würde funktionieren, liegt wahrscheinlich nicht nur an der geschönten Wahrnehmung kindlichen Lernens, sonder auch daran, dass viele Schüler gar keine Anfänger sind. Erwachsene haben gewöhnlich schon zwei Fremdsprachen in der Schule gelernt und auch ihre Muttersprache enthält viele Lehnwörter und umfangreiches Grammatikwissen, dass weiterverwendet werden kann. Kurz: Wer eine populäre Sprache wie Englisch, Spanisch, Französisch oder Italienisch erlernen will, ist kein Anfänger, sondern bereits weit fortgeschritten (das werden mir viele Sprachschüler wohl nicht glauben ;-).

Wiederholungen und Neues

Wer sich die Ebbinghaussche Vergessenskurve (Abschnitt „Vergessen“) in's Gedächtnis ruft, stellt mit Schrecken fest, dass nur 20% eines Lernstoffes langfristig im Gedächtnis verbleiben. Wir wollen aber mehr! Deshalb führt an Wiederholungen kein Weg vorbei. Wenn wir den vergessenen Stoff wiederholen, behalten wir auch davon nur 20%. Das ist nicht schön. Wir müssen also mehrfach wiederholen. Wenn wir das Ganze jetzt genauer ausrechnen, stellen wir fest, dass wir einen Lernstoff etwa zehn mal wiederholen müssen, um 90% im Gedächtnis zu behalten. Oder um es ganz deutlich zu sagen: Wer eine Sprache lernt, sollte mehr als 90% seiner Zeit für Wiederholungen verwenden!

So viel? werden sich jetzt manche fragen. Das kann doch gar nicht sein, oder? In einigen wird ein Verdacht aufkeimen, warum es mit dem letzten Sprachkurs nicht geklappt hat. In der Tat sind die meisten Sprachkurse, die ich kenne, anders aufgebaut. Die einzelnen Lektionen enthalten einen hohen Anteil von neuem Stoff, der kurzfristig massiv gelernt wird. Das extrem wichtige langfristige Wiederholen wird dem Schüler überlassen. Kein Wunder, dass es häufig nicht funktioniert.

Mancher wird sich jetzt fragen, ob 90% Wiederholungen überhaupt realistisch sind. Dazu eine kurze Abschätzung. Angenommen, jemand besucht einmal pro Woche für eineinhalb Stunden einen Sprachkurs. Nehmen wir weiter an, dass etwa 25 bis 50% des Unterrichtsmaterials neu sind (ich habe in verschiedene Sprachkurse geschaut und das war der Anteil der neuen Vokabeln in den fortgeschrittenen Lektionen). Dann muß der Schüler etwa 3,5 bis 7 Stunden außerhalb des Unterrichts weiterlernen, wenn er langfristig Erfolge erzielen will. Das ist schon eine ganze Menge, die irgendwie im normalen Alltag untergebracht werden muß. Wer sich hingegen im Ausland aufhält und täglich abends für eine Stunde einen Sprachkurs besucht, ist viel besser dran, weil er sich den Rest des Tages mehr oder weniger aktiv mit der Sprache beschäftigt.

Wenn der Sprachkurs jedoch das primäre Material ist, mit dem der Schüler in Berührung kommt, müssen wir uns fragen, wie wir die 90% Wiederholungen unterbringen. Folgendes ist mir spontan dazu eingefallen (es gibt sicher noch mehr Möglichkeiten):

  1. Texte mit etwa 10% Anteil an neuem Material. Damit wird nicht nur alter Lernstoff permanent wiederholt, sondern der Schüler kann die Bedeutung neuer Vokabeln aus dem Kontext erschließen.

  2. Texte, die stark aufeinander aufbauen. Dadurch kann neues Material mit altem verknüpft und besser behalten werden. Die Wiederholungen sind dann nicht so kritisch, weil die Ebbinghaussche Lernkurve flacher wird.

  3. Zusatztexte auf dem Niveau des Schülers. Wiederholung bedeutet ja nicht, immer wieder die gleichen Texte zu wiederholen, sondern nur Vokabeln und Grammatik.

  4. Übungen müssen vernünftig zeitlich gestaffelt sein. In aktuellen Übungen muß immer wieder eine große Menge altes Material auftauchen.

Beim letzten Punkt stellt sich sofort die Frage, wie eine sinnvolle zeitliche Staffelung aussieht. Empfehlenswert ist die Strategie des ausgedehnten Abrufs [Leitner][Funke]. Das bedeutet nichts anderes, als Lernmaterial kurz vor dem Vergessen zu wiederholen. Der optimale Zeitpunkt ist natürlich davon abhängig wie lange etwas behalten wird. Bei Vokabeln hat sich beispielsweise der Faktor 2 bewährt, also an einem Tag die Vokabeln vom Vortag wiederholen, die von vor 4 Tagen, die von vor 8 Tagen usw. Aber wie schon erwähnt, die optimale Staffelung hängt davon ab, wie gut der Stoff behalten wird.

Vokabeln

Auswahl

Beim Thema Vokabeln stellt sich zuerst die Frage nach einer sinnvollen Vorauswahl des Stoffes. Wie in „Wieviele Wörter brauche ich für was?“ dargestellt, beherrscht ein Zehnjähriger bereits etwa 10.000 Worte. Wer eine Sprache wirklich gründlich lernen will, kommt also nicht darum herum, früher oder später sehr viele Vokabeln zu erlernen. Allerdings reichen 3.000 Vokablen, um etwa 90% eines einfachen Textes abzudecken. Das halte ich für eine sinnvolle Basis, um selbstständig weiterzulernen, weil der Sinn des Textes verstanden wird und der Schüler beim Lesen nicht nur mit dem Nachschlagen von Vokabeln beschäftigt ist. Allerdings enthalten Anfängerkurse meistens nur so um die 1.000 Wörter. Oft existiert kein weiterführender Kurs, weil der Aufwand zu groß ist, um sich kommerziell zu rentieren. Die Auswahl der Vokabeln ist deshalb besonders wichtig. Sie sollte meiner Meinung nach den folgenden Kriterien genügen:

  1. Die Vokabeln müssen den Zielen des Sprachschülers entsprechen. (Urlaub, Studium, Alltagsvokabular, Lesen von Büchern, ...)

  2. Der Wortschatz muß eine gute Basis für weiteres Lernen sein.

Bei der Suche nach einer geeigneten Auswahl stößt man schnell auf den sogenannten Grundwortschatz, der es ermöglichen soll, mit etwa 1.000 Wörtern 80% typischer Alltagstexte abzudecken. Für die Aufstellung des Grundwortschatzes gibt es keine verbindlichen Regeln. Gewöhnlich enthält er Vokabeln zu folgenden Themen:

  1. soziale Interaktionen (Begrüßen, Verabschieden, Bedanken, Vorstellen, ...)

  2. Gefühle, Wertungen (mögen, nicht mögen, gut, schlecht, lieben, ...)

  3. menschliche Sinne (sehen, tasten, riechen, heiß, kalt, Farben, ...)

    Diese Wörter sind sehr wichtig, weil sie häufig verallgemeinert werden. Beispiele: Es riecht verdächtig, Wir müssen uns vorsichtig an das Thema herantasten, Das ist mir zu heiß, Er ist ein eiskalter Typ, Grell, Cool, Ich sehe rot.

  4. grundlegende Tätigkeiten (gehen, geben, bekommen, essen, schlafen, ...)

    Auch diese Begriffe werden oft generalisiert: Es läuft gut, Geht klar, Das gibt mir den Rest.

  5. Zahlen

  6. Ortsdimension (hier, dort, vor, hinter, groß, klein, ...)

  7. Zeitdimension (Datum, Wochentage, gestern, morgen, ...)

  8. Bindewörter (und, oder, aber, ...)

  9. Personenidentifizierer (im Deutschen Personalpronomen, aber auch Anreden, Verwandtschaftzbezeichnungen, ...)

  10. Dinge in der Umwelt (Mensch, Lebewesen, Natur, Stadt, ...)

  11. soziale Umgebung (Freizeit, Arbeit, Familie, ...)

  12. wichtige Redewendungen

Wer den Grundwortschatz etwas genauer analysiert, stellt fest, dass es so etwas wie einen festen Sprachkern von einigen hundert Wörtern gibt, während der Rest auf mehr oder weniger geschickter Auswahl beruht. Oft kommen die Kriterien Häufigkeit oder Wichigkeit zum Einsatz.

Häufigkeit.  Das Verfahren ist simpel (und billig): Man füttere ein Computerprogramm mit einigen Texten und lasse den Computer die verschiedenen Wörter zählen. Besonders häufige Wörter kommen in den Grundwortschatz. Sie decken rein statistisch einen großen Teil der Texte ab. Das Ganze nennt sich auch Wortfrequenzanalyse.

Die Wortfrequenzanalyse besitzt einige Nachteile:

  1. Die ermittelten Worthäufigkeiten hängen stark vom zugrunde liegenden Textmaterial ab. Jeder Mensch gehört verschiedenen soziologischen Gruppen an, was den individuellen Grundwortschatz schnell aufgebläht. Wer einmal eine Bahnfahrt inmitten einer Schulklasse verbracht hat, weiß, dass hier eine andere Sprache gesprochen wird als im Rentnerabteil nebenan. In der Linguistik findet man deshalb schnell Grundwortschätze zu verschiedenen Fachgebieten, Dialekten, Soziolekten...

  2. Häufige Wörter sind nicht unbedingt wichtige Wörter. Im Deutschen kommen beispielsweise Personalpronomen, Bindewörter und Artikel sehr häufig vor. Im Koreanischen fehlen die Artikel völlig und Personalpronomen werden selten benutzt. Probieren wir doch einmal aus, was passiert, wenn in deutschen Sätzen Personalpronomen, Bindewörter, Artikel und sogar noch einige andere häufige Wörter weggelassen werden:

    Ich bin zu spät gekommen.Zu spät gekommen.
    Möchten Sie Tee oder Kaffee?Tee? Kaffee?
    Gib mir bitte die Butter!Gib Butter!
    Ich habe Hunger!Hunger!

    Ich habe über 50% der häufigen Worte gestrichen und die Sätze sind immer noch verständlich. Die Häufigkeit eines Wortes ist kein Maß für seine semantische Bedeutung.

    Wer Spaß daran hat, kann gerne testweise in Sätzen aus aus diesem Text Personalpronomen, Bindewörter und Artikel streichen, um zu sehen, was passiert.

Es ist also kein Wunder, dass Grundwortschätze, die mit der Wortfrequenzanalyse erstellt wurden, häufig aufgebläht sind. Sonst entstehen schnell Sammlungen von Vokabeln, die wenig zum Verständnis von Texten beitragen.

Wichtigkeit.  Bei Sammlungen von wichtigen Vokabeln wird selten angegeben, für wen und warum sie wichtig sind.

Gil Dong:Was heißt "Willst du sterben?" auf Chinesisch?
Yi Nok:Das weiß ich nicht.
Gil Dong:Du sagst, du kannst Chinesisch, und kennst nicht einmal die wichtigsten Wörter?

- Aus: [HongGilDong] -

Wie schon aus dem vorherigen Abschnitt hervorgeht, sind Häufigkeit und Wichtigkeit nicht identisch. Den Satz Hinter dir steht ein großer Löwe wird man nicht allzu häufig im Leben hören, ihm aber dann eine immense Bedeutung beimessen.

Wichtigkeit läßt sich auf verschiedene Art und Weise definieren:

Basic Englisch [Ogden] beschränkt sich auf etwa 850 Wörter. Das Ziel dieser Auswahl war es, mit wenig Wörtern möglichst viel ausdrücken zu können. Sie ist nicht unbedingt auf das Verständnis der Sprache optimiert, weil unter Umständen häufig verwendete, aber redundante, Vokabeln fehlen.

Die Planssprache Toki Pona [Kisa] ist ein Beispiel für einen minimalistischen Ansatz. Sie kommt mit 123 Wörtern aus. Der Wortschatz beschränkt sich auf elementare überlebensnotwendige Kommunikation. Dazu gehören Wasser, Nahrung, Menschen, geben, nehmen, gut, schlecht,...

Vokabelsammlungen für Sprachkurse versuchen oft, typische Alltagssituationen abzudecken. Natürlich ist die Auswahl der Situationen willkürlich. Vokabeln für Touristen werden im Alltag eines Einheimischen oft nicht gebraucht. Typisch sind Sätze wie: Wo ist die Gepäckausgabe? Haben Sie etwas zu verzollen? oder Ihren Reisepaß bitte!

Aber egal, wie sorgfältig die Auswahl vorgenommen wurde, es sind zu wenig Wörter. Es muß sich also niemand wundern, wenn mal wieder ein Muttersprachler fragt: Warum hast du das nicht gelernt? Das ist doch so wichtig! Und auch der schönste Wortschatz stößt schnell an seine Grenzen, wenn die Verkäuferin nach der Kundenkarte fragt, sich die Angebetete als Baseball-Fan entpuppt, ihre Mutter neugierig ist, wie man in Deutschland Kinder erzieht und sich die kleine Schwester für Tiger, Elefanten und Schlangen interessiert.

Ich plädiere deshalb dafür, die Vokabelauswahl stärker daran auszurichten, eine Basis für weiteres Lernen zu sein. Dazu muß die Lebenssituation des Schülers berücksichtigt werden. Wer beginnt, eine Sprache zu erlernen, kommt nach dem Sprachkurs nicht unbedingt mit Alltagssprache in Berührung. Viele Sprachschüler bleiben in Deutschland und reisen nur selten ins Land ihrer Träume. Typische Gelegenheiten, eine Sprache näher kennenzulernen, sind beispielsweise die folgenden:

  1. Gespräche mit ausländischen Freunden in Deutschland oder über das Internet.

  2. Filme, Fernsehserien

  3. Artikel in Zeitungen oder im Internet

  4. Diskussionsgruppen im Internet

  5. Bücher

  6. weitere Sprachkurse

Für die Auswahl eines Wortschatzes würde das bedeuten, sich auf den Sprachkern zu beschränken und weiterführendes Material als statistische Grundlage für die Erweiterung zu verwenden. Der Gedanke läßt sich durch folgende Fragen präzisieren:

  1. Wie lernt der Schüler nach dem Sprachkurs weiter?

  2. Werden die Vokabeln nach dem Verlassen des Sprachkurses häufig wiederholt, so dass der Schüler sie irgendwann flüssig beherrscht?

  3. Decken die Vokabeln einen beträchtlichen Teil der Texte ab, mit denen der Schüler weiterlernt?

Lernen

Grundsätzlich stehen zwei Methoden zur Verfügung, um Vokabeln ins Gedächtnis zu befördern:

  1. Verknüpfen mit anderen Informationen

  2. Wiederholen

Die Verbindung mit starken Gefühlen ist zwar wirksam, jedoch eher außergewöhnlichen Situationen vorbehalten. Sprache wäre sonst eine sehr emotionale Sache.

Die Verknüpfung mit anderen Informationen ist die wirksamste Merkhilfe [WikiMnemotechnik]. Dessen können wir uns recht sicher sein, weil auch Gedächtnisweltmeister so arbeiten. Leider sind Gedächtnisweltmeister nicht dafür bekannt, zig Sprachen zu beherrschen. Eselsbrücken kosten Zeit (sowohl beim Lernen als auch beim Abrufen) und die haben wir beim flüssigen Sprechen nicht. Es scheint also empfehlenswert, die Sprache selbst, also Sätze und Geschichten, als Merkhilfe zu verwenden. Diese simple Methode wird schon von [Leitner] empfohlen. Es gibt aber erhebliche Variationen:

  1. Ein Muttersprachler oder Fortgeschrittener lernt neue Worte oft im Gespräch oder durch eine kurze Erklärung. Er benutzt das Wort einige Male und schon ist es in seinem Wortschatz. Weil ein Muttersprachler umfangreiches Kontextwissen besitzt, wird eine neue Vokabel sozusagen direkt an bestehende Informationen angebunden.

  2. Fortgeschrittene lernen gewöhnlich, indem sie sich der Sprache massiv aussetzen (Gespräch, Medien, Bücher) und sie aktiv verwenden. Sie sind in einer ähnlichen Situation wie Muttersprachler, aber es läuft bei ihnen langsamer, weil weniger Kontextwissen vorhanden ist.

  3. Anfänger quälen sich mit Vokabeln und Beispielsätzen herum, die sie häufig wiederholen müssen, da Anknüpfungspunkte fehlen.

Es wird deutlich, dass es die beste Methode zum Vokabellernen nicht gibt, ebenso wenig, wie es das beste Werkzug gibt. Es gibt immer nur das beste Werkzeug für bestimmte Aufgaben in bestimmten Situationen.

Für Anfänger sind die folgenden Regeln hilfreich:

  1. Vokabeln grundsätzlich mit Beispielsätzen merken [Leitner].

    Es gibt einige Leute, die empfehlen, Vokabeln nur mit Beispielsätzen zu lernen. Ich denke, dass man dafür ein gewissen Vorwissen benötigt. Bei mir hat das nicht gut funktioniert, weil ich dann Probleme habe, mich bei der Satzbildung an einzelne Vokabeln zu erinnern.

    Unsinnig ist es, nur einzelne Vokabeln zu lernen, also ohne Beispielsätze oder einen passenden Text, weil dann die Merkhilfen und Anwendungsbeispiele fehlen.

  2. Vokabeln in kleinen Portionen lernen, sonst werden die gerade gelernten von den neuen wieder aus dem Arbeitsgedächtnis herausgeschossen, also beispielsweise fünf Stück einprägen und kurz üben, danach die nächsten.

  3. Vokabeln über einen längeren Zeitraum wiederholen, damit sie im Langzeitgedächtnis verbleiben.

  4. Lieber täglich ein bisschen lernen als viel und massiv an einem Tag. Die Ebbinghaussche Gedächtniskurve läßt sich nicht betrügen.

  5. Vokabeln aktiv verwenden, also nicht nur Gelerntes stumpfsinnig wiederholen, sondern eigene Sätze bilden. Was man selber tut, bleibt am besten hängen.

Für Anfänger sind Vokabeltrainer empfehlenswert. Gute Vokabeltrainer verteilen den Lernstoff so, dass mit relativ geringem Aufwandiro (Ja, das ist der Ironitiv) eine relativ große Menge von Vokabeln zu jedem Zeitpunkt im Gedächtnis verbleibt. Um auf flüssiges Sprachniveau zu gelangen, ist jedoch deutlich mehr Übung nötig.

Grammatik

Der Abschnitt „Grammatik“ sollte jeden davon überzeugt haben, dass es ohne Grammatik nicht geht. Auch hier gibt es so etwas wie einen Grammatikkern für die wichtigsten Aufgaben:

  1. Satzbau, Aussagen, Eigenschaften von Dingen

  2. Fragen

  3. Befehle, Wünsche

  4. Bejahen und Verneinen

  5. Raum-, Zeit-, und Richtungsangaben

  6. Höflichkeit (nicht bei allen Sprachen in der Grammatik)

Grammatik wird von vielen Schülern gefürchtet, doch genau genommen fürchten sie nicht die Grammatik an sich, sondern die in Fremdwörtern verschleierten Grammatikregeln.

Beispiel: Eine Interrogatio wird durch Komposition des Infinitivs mit der Postposition boba gebildet.

Alles klar? [Spitzer] macht darauf aufmerksam, dass Menschen am besten durch Beispiele lernen. Ich glaube, dass liegt daran, dass Lernen vor der Sprache entstanden ist. Schon Tiere lernen durch Abschauen. Beispiele sind konkrete Ausprägungen von Mustern, die wir für schnelle Verarbeitung benötigen.

Allerdings haben Regeln durchaus ihre Berechtigung, wenn man sie als Merkhilfen betrachtet und nicht als Zwang zum Fremdwörterlernen. Ich jedenfalls habe in der Schule durch Grammatikregeln noch sehr viel über meine Muttersprache gelernt, was über zehn Jahre Vollzeitimmersion nicht geschafft haben. Regeln helfen bei der Bildung neuer Sätze, wenn die entsprechenden Muster noch nicht verinnerlicht sind. Sie schaffen Klarheit in Zweifelsfällen.

Grammatikregeln und Beispiele haben also beide ihren Platz beim Sprachenlernen. Ich halte es aber für sinnlos, über 1.000 deutsche Grammatikregeln auswendig zu lernen. Sinnvoll erscheint es mir, die wichtigsten weiterzugeben, und zwar in einer Form, die der Schüler mit seinem Hintergrundwissen versteht. Das vorherige Beispiel ließe sich auch so formulieren:

Bei Fragen wird boba hinten angehängt.

Beispiele:

BiBaBoDeutsch
Dubi gehenbobaGehst du?
Lunabi lesenbobaLiest Luna?
Sunnybi einkaufenbobaKauft Sunny ein?

Übungen

Im Abschnitt „Wir lernen das, mit dem wir uns beschäftigen“ bin ich bereits darauf eingegangen, dass wir ziemlich genau das lernen, was wir üben. Also müssen wir uns fragen, bei was uns die Übungen eigentlich unterstützen sollen. Sprache stellt vielfältige Anforderungen an das Gehirn:

  1. Hören

  2. Sprechen

  3. Erinnern an Vokabeln, Redewendungen, Grammatik

  4. Situatives Denken und freie Satzbildung

  5. Lesen

  6. Schreiben

Experten empfehlen gewöhnlich möglichst vielfältige Übungen, damit alle notwendigen Fähigkeiten trainiert werden.

Es gibt auch Lehrer, die der Meinung sind, der beste Weg, eine Sprache zu erlernen, sei, diese einfach zu sprechen. Es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten, die dafür sprechen:

  1. Sprechen ist eine aktive Tätigkeit und was wir aktiv machen, behalten wir besser.

  2. Der Mensch ist ein soziales Lebewesen. Die Kommunikation mit anderen Menschen ist für uns sehr wichtig und wichtiges wird besser behalten.

  3. Im Gespräch werden viele notwendigen Fähigkeiten gleichzeitig trainiert: Sprachverständnis, Erinnerungen an Vokabeln, korrekte grammatikalische Satzbildung, situatives Denken und freies Formulieren.

  4. Eine Reihe von Untersuchungen zeigen, dass beim Lernen die Situation mitgelernt wird. Daraus folgt, dass Übungen nahe an der realen Situation liegen sollten.

Es scheint also empfehlenswert, Sprachkurse dialogorientiert aufzubauen, so dass Schüler von Anfang an zu einfachen Gesprächen fähig sind. Die meisten Sprachkurse, die ich kenne, sind auch ähnlich strukturiert.

Der typische Schwachpunkt bei Übungen ist, wie schon mehrfach erwähnt, dass massives Üben forciert wird. Oft wird in einem Kapitel ein Thema bearbeitet, massiv eingeübt und dann vergessen. Der Abschnitt „Wiederholungen und Neues“ geht auf dieses Thema ein.

Äußere Form

Viele werden sich jetzt fragen, wie denn ein idealer Sprachkurs konkret aussieht? Das ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten. Ich persönlich glaube, dass es keine ideale Form gibt, sondern dass die Grundprinzipien eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten bieten.

Es gab einmal eine Zeit, in der Experten glaubten, Mädchen könnten keine Mathematik erlernen (letztes Jahrhundert). Es gab einmal eine Zeit, in der Lehrer an der Tafel gefilmt wurden, weil Experten glaubten, Unterricht sei interessanter, wenn er im Fernsehen übertragen wird. Und seit dem Siegeszug des Computers hören wir beständig wie toll Multimedia und Computer für das Lernen seien. Jüngste Studien sprechen eine ganz andere Sprache [bdw][IDB]. Multimedia lenkt ab und erschwert die tiefergehende Verarbeitung, der Computer bringt so gut wie nichts. Natürlich ist das nichts neues [Spitzer]. Wichtig ist vor allem, was im Gehirn des Schülers stattfindet und weil Lernen im hohen Maße ein aktiver Vorgang ist, profitieren manche von neuen Medien und andere nicht.

Ein idealer Sprachkurs sollte meiner Meinung nach den Schüler beim Lernen unterstützen, also sein Vorwissen nutzen, auf seine Interessen eingehen, ihn begeistern und ihm ermöglichen, weiter zu kommen.